Repräsentation

Zusammenfassende Darstellung des Projektbereichs C: Kollektive Repräsentationen und die historische Semantik von Armut und Fremdheit 

Bezeichnungsvorgänge und Kommunikationsprozesse sind elementare Bestandteile von Inklusion/Exklusion. Der Teilbereich C beschäftigt sich mit den Semantiken bzw. den Repräsentationen, die Einbeziehung bzw. Abgrenzung von Fremden oder Armen erzeugen oder legitimieren. Der Begriff der Repräsentation, wie er sich in der Forschung der Kulturwissenschaften seit Durkheim bewährt hat, dient hierbei als fächerübergreifender Bezugsrahmen (Chartier; Schmitt). Kollektive Repräsentationen stehen für überindividuelle Vorstellungen und Darstellungen, die aber – anders als noch bei Durkheim – keineswegs einheitlich oder konsensstiftend sein müssen, sondern Gegenstand von symbolischen Auseinandersetzungen in Gesellschaften sein können. Untersuchungsgegenstand sind die Resultate jener ”Repräsentationsarbeit” (Bourdieu), die zur Konstruktion der Sicht von sozialer Welt und damit zur Konstruktion dieser Welt selbst beitragen. Als Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata prägen sie Personen wie Sachen, sind in Gesten, Sprache, Kleidung, Texten, Bildern, Monumenten etc. eingelagert. In der Sprache Webers handelt es sich um handlungsleitende Weltbilder, die – so im Anschluss an Weber Murphy – selbst soziale Schließungen begründen. Schließlich lassen sie sich mit Luhmann als Semantiken auffassen im Sinne eines aufbewahrten und wieder verwendbaren ”höherstufig generalisierten, relativ situationsunabhängig verfügbaren Sinnes” (Luhmann). In der Kunstgeschichte und anderen Bildwissenschaften steht ”Repräsentation” (Summers; Ginzburg) für Vergegenwärtigungen von Abwesendem ebenso wie für mediale Formen der Inszenierung. Gemeinsam ist den hier verwendeten Theorien – bei aller Unterschiedenheit, die in den einzelnen Projekten fassbar wird –, dass Repräsentation nicht als passiver Ausdruck von etwas, das bereits besteht, aufgefasst wird, sondern selbst eine soziale bzw. kulturelle Praktik ist, die an der Herstellung des von ihr Repräsentierten mitbeteiligt ist (Berg /Fuchs; Oexle / Hülsen-Esch). Unter diesen Prämissen ist den Semantiken und Repräsentationen ein eigener Teilbereich im Gesamtaufbau des SFB gewidmet.

Untersuchungsgegenstand sind die vielfältigen Verweisungs- und Bezeichnungseffekte zwischen Figurationen, Klassifikationen, Deutungsmustern einerseits, sozialen Handlungszusammenhängen andererseits, durch die Ordnungsmuster erzeugt werden. In diesen Sinnbildungsprozessen entstehen jene Semantiken und Repräsentationen von Inklusion und Exklusion, die den konkreten gesellschaftlichen Umgang mit Armut und Fremdheit bestimmen (Ginzburg). Das besondere Gewicht situations-, aber auch institutionsunabhängiger Sinnzusammenhänge, die in sprachlichen und bildlichen Medien artikuliert und tradiert werden, legt es nahe, dieser Dimension im Umgang mit Armut oder Fremdheit besondere Aufmerk-samkeit zu widmen. Dabei werden in interdisziplinärer Kooperation drei Perspektiven verfolgt:

Die kunsthistorische Perspektive befasst sich mit bildlichen oder architektonischen Ordnungen und Ordnungsentwürfen und damit zugleich mit der medialen bzw. bildkünstlerischen Gestaltung oder Kommentierung von Inklusions- und Exklusionsvorgängen im Hinblick auf Armut und Fremdheit. Phänomene von Stilbildung bzw. Stilwahl, ikonographische Prägungen und ihr Wandel in den Bildmedien und der visuellen Kultur seit der Spätantike werden in ihren Beziehungen zu anderen kulturellen Ausdrucksprozessen und Praktiken analysiert. Mit dem Begriff der Repräsentation werden dabei sowohl die spezifischen Felder herrscherlicher oder kommunaler Selbstdarstellung als auch allgemein Formen bildlicher Vergegenwärtigung bezeichnet (Zimmermann). Für die Forschung steht damit das Spannungsverhältnis zwischen der Struktur bzw. den Transformationen der Medien und ihrer Thematisierung von Armut und Fremdheit im Vordergrund.

Die soziologische Perspektive fragt nach dem Zusammenhang zwischen spezifischen Semantiken bzw. Repräsentationen, bestimmten Mustern von Inklusion / Exklusion und dem Wandel gesellschaftlicher Strukturen in Europa von der Antike bis zur Gegenwart. In welcher Weise prägen grundlegende Muster sozialer Ordnung die spezifischen Semantiken im Umgang mit Fremdheit oder Armut und inwiefern prägen Semantiken und Repräsentationen ihrerseits die Inklusions- und Exklusionspraktiken einer gegebenen Gesellschaft (Münkler, 1997, 1998; Demandt; Leisering)? Semantiken werden als Ressourcen angesehen, denen nicht anzusehen ist, wie und wann sie zu Katalysatoren gesellschaftlicher Entwicklungen werden, d.h. ob sie eingrenzungs- oder ausgrenzungsrelevant werden oder nicht. Sie können strukturellen Entwicklungen vorauseilen (preadaptive advances), sie können strukturelle Veränderungen abzuwehren versuchen, immer aber handelt es sich um ein zirkuläres Verhältnis zwischen Strukturen und Repräsentationen (Luhmann, 1980-1995, 1997; Stichweh). 

Die begriffsgeschichtliche Perspektive fragt nach Kontinuität und Wandel von Semantiken bzw. Repräsentationen von Ordnung im Umgang mit Armut oder Fremdheit (Kossellek). Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei der Genese und Tradierung institutionenprägender Klassifikationsmuster und den Fachdiskursen von Experten (Medizinern, Juristen, Theologen, Philosophen) zu. In methodischer Hinsicht haben sich dabei in den letzten Jahrzehnten die Ansätze der westdeutschen Begriffsgeschichte, der Diskursanalyse in Anlehnung an Foucault und der political languages der Cambridge-Schule profiliert und sind vor allem in Studien zum Wandel der historischen Semantik von Armut im Entstehungskontext zunächst des modernen Liberalismus, dann der modernen Wohlfahrtsstaaten genutzt worden. Die vorliegenden Arbeiten (etwa Himmelfarb, Proccaci, Topalov) bieten vielfältige Anknüpfungspunkte für weitere, vor allem langfristig und vergleichend angelegte Studien.

Alle drei Forschungsperspektiven sind in den Teilprojekten des Teilbereichs C präsent und ihrerseits aufs engste verbunden mit den Leitfragen der Teilbereiche A und B. Die Komplementarität der drei Bereiche ergibt sich aus der Leitidee, die Erforschung von Repräsentationen und Semantiken eng zu verzahnen mit der Untersuchung sozialer Praktiken und institutioneller Arrangements von Inklusion / Exklusion. Gleichzeitig stellt der Teilbereich C in der Gesamtarchitektur des SFB den Ort dar, an dem zum einen die Wirkungen langer Dauer, das Gewicht tradierter Vorstellungen und Darstellungen genau geprüft werden können, und zum zweiten die Rückkoppelung und Verzahnung von Inklusions-/Exklusionsfiguren im Umgang von Armut und Fremdheit besondere Aufmerksamkeit finden sollen.

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