BMBF-Nachwuchsforschungsgruppe: GloVib – Globale Verflechtungen und rassische Kategorisierungen: Die iberischen Wurzeln des deutschen Rassendenkens (16.-20. Jh.)

 

Eine globale Perspektive auf das deutsche Rassendenken seit Beginn der Neuzeit

GloVib erforscht die Geschichte und globale Zirkulation rassischer Kategorisierungen von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart. Unser Ausgangspunkt ist die These, dass Rassismus und Rassendenken im deutschsprachigen Raum nicht als autochthone Entwicklungen zu verstehen sind. Stattdessen entstanden entsprechende Kategorien und Praktiken der Humandifferenzierung maßgeblich im Rahmen der politischen, ökonomischen und intellektuellen Einbindung der deutschen Territorien in die europäische und insbesondere iberische Expansion. Vermittelt durch die globale Zirkulation von Menschen und Ideen wurden iberische Vorstellungen über natürliche Hierarchien, „Reinheit“ und „Vermischung“ schon früh im deutschsprachigen Raum in Umlauf gebracht. Unser Projekt erforscht, wie dieser fortgesetzte Austausch die Diskussion zentraler Fragen über Biologie und menschliche Natur sowie Nationalismus und Imperialismus beeinflusste.

 

Die welthistorischen Wurzeln einer deutschen Geschichte

Die Beziehungen zwischen dem deutschsprachigen Raum und Lateinamerika wurden in Hinblick auf die Geschichte rassischer Kategorisierung im deutschsprachigen Raum bislang wenig beachtet. Unser Ziel ist, diese verdeckten sozial- und ideengeschichtlichen Verflechtungen offenzulegen. Wir gehen der Frage nach, wie diese koloniale Vorgeschichte den späteren deutschen Kolonialismus und Nationalismus situierte, und arbeiten hierzu in Archiven in Afrika, Europa, Nord- und Südamerika. Hierdurch hebt das Projekt die Diskussion von Rassismus und Rassendenken in Deutschland aus ihrer nationalstaatlichen Provinzialität und macht eine geteilte Geschichte sichtbar, die Lateinamerika, Deutschland sowie die ehemaligen deutschen Kolonien verbindet.

 

Für ein kritisches Bewusstsein über die Geschichte rassischer Kategorisierungen

Das zweite Ziel von GloVib besteht darin, das Verständnis dieser historischen Dynamik didaktisch und bildungspolitisch umzusetzen. Durch Kooperation und Dialog mit Akteur:innen der Zivilgesellschaft, der politischen Bildung und der Lehrerweiterbildung entwickeln wir Vermittlungsstrategien und Formate, die zu einem kritischen Nachdenken über die Kategorisierungen von Menschen anregen. Indem es sich mit den Ursprüngen rassischer Kategorisierungen befasst und deren Künstlichkeit, Widersprüchlichkeit und Wandelbarkeit aufzeigt, soll das Projekt einen Beitrag zur Stärkung rassismuskritischer Kompetenz leisten. Entgegen provinzialistischer und nationalistischer Narrative machen wir eine deutsche Geschichte sichtbar, die schon seit Jahrhunderten durch koloniale Verstrickungen gekennzeichnet ist. Hiermit setzt GloVib Impulse für ein kritisches Geschichtsbewusstsein, das im globalen Deutschland der Gegenwart zu einem gleichberechtigteren Zusammenleben beitragen kann.

 

Das Projekt wird von Dr. Adrian Masters geleitet und gliedert sich in vier Teilprojekte:

Bastard Enlightenment: Kategorien der „Vermischung“ vom spanischen Kastensystem bis zur Aufklärung

Dr. Adrian Masters
Teilprojekt 1 untersucht die frühneuzeitlichen Wechselwirkungen zwischen den Regimen menschlicher Differenz der iberischen Überseegebiete und dem Rassendenken wichtiger deutscher Naturphilosophen wie Kant, Blumenbach, Meiners und Girtanner. Es erforscht, in welcher Weise iberische Ideen über „Menschenrassen“ und „Rassenmischung“ die Rassenideologien der Aufklärung beeinflussten. Das Teilprojekt fragt danach, weshalb diese iberischen Ideen zu einer der Grundlagen der Naturphilosophie der deutschen Aufklärung wurden und wie genau diese Ideen von den iberischen Überseegebieten in den deutschsprachigen Raum gelangten.

„Labor der Vermischung“: Mexiko im deutschen Diskurs über Menschenrassen und Nation

Lars Grimm
Teilprojekt 2 ist deutschsprachigen Publikationen von Reisenden, Gelehrten, Journalisten und anderen Akteuren über die frühe Periode mexikanischer Unabhängigkeit in den Jahren 1820 bis 1920 gewidmet. Die neuen mexikanischen Machthaber hatten in den 1820er Jahren jegliche Diskriminierung aufgrund rassischer Kategorien verboten und bis zu den 1920er Jahren eine offizielle Haltung entwickelt, die eine „Rassenmischung“ begrüßte. Es handelt sich bei dem Teilprojekt um eine Untersuchung der Interpretation, Einbettung und Bewertung dieser Geschehnisse im deutschsprachigen Raum sowie um die Erforschung ihres Einflusses auf dortige „rassekundliche“ Überlegungen und Politiken.

„Bastardnation“: Verstrickungen von Rassenanthropologie, Kolonialismus und Mission in Deutsch-Südwestafrika

Moritz Peter Herrmann
Teilprojekt 3 behandelt die transatlantische Verstrickung von Kolonialismus, Mission, Rassenanthropologie und dem deutschen Nationalismus im Süd- und Südwestafrika des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt liegt auf der Begegnung der deutschen Kolonialmacht mit den Bastern, einer Gruppe, die ihre Herkunft auf die Vermischung von indigenen Khoikhoi mit europäischen Siedlern zurückführte. Das Teilprojekt untersucht, wie präkoloniale Narrative und Erfahrungen diese Begegnung vorstrukturierten und wie deren Konsequenzen rassistische Praktiken der Humandifferenzierung in Deutschland und Namibia beeinflussten.

Kolonialismus in der Didaktik: Wie deutsche Schulbücher indigene Geschichte unterschlagen

Stephanie Wegener
Teilprojekt 4 untersucht anhand von Schulbüchern, wie die frühe Kolonialgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1970er Jahren unterrichtet wurde und wird. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei Bezügen zu rassischer Diskriminierung. Das Teilprojekt soll eine kritische Bestandsaufnahme des Schulunterrichts liefern, Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen der schulischen Vermittlung entwickeln und schuldidaktische Vorschläge ausarbeiten.

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