Vom nationalen Interesse zum shareholder value? Wertewandel in den Führungsetagen westdeutscher Großunternehmen in den 1970er und 1980er Jahren

Referent/in: PD Dr. Christian Marx
im Rahmen der Tagung "Wertewandel in Wirtschaft und Arbeitswelt? Arbeit, Leistung und Führung in den 1970er und 1980er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland", Mainz, 03.03.2015

Auf der Tagung „Wertewandel in Wirtschaft und Arbeitswelt? Arbeit, Leistung und Führung in den 1970er und 1980er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland“ spricht Dr. Christian Marx über „Vom nationalen Interesse zum shareholder value? Wertewandel in den Führungsetagen westdeutscher Großunternehmen in den 1970er und 1980er Jahren“.

Die Tagung findet vom 26. bis 28. März 2015 im Landesmuseum Mainz statt und wird vom Historischen Seminar (Arbeitsbereich Neuere Geschichte) der Johannes Gutenberg-Universität organisiert.

Zum Thema der Tagung:

Schenkt man Medienberichten Glauben, verändern sich gerade die Einstellungen der Menschen in Deutschland zu Wirtschaft und Arbeit dramatisch: Die vielzierte „Generation Y“ fordere demnach Selbstverwirklichung, flache Hierarchien, Flexibilität, kollegiale Führungsstile sowie eine ausgeglichene „work-life-balance“. Aufstieg um jeden Preis, hohe Gehälter und Statussymbole wie Dienstwagen seien nicht mehr so wichtig wie früher. „Gerade bei Berufsanfängern und jungen Führungskräften hat eine Werteverschiebung eingesetzt, welche die vormals dominierende Akzeptanz- und Pflichtkultur zunehmend durch eine Kultur der Selbstverwirklichung ersetzt“, heißt es in den ULA Nachrichten, der Zeitschrift des Verbands der deutschen Führungskräfte im Juni 2013. Eine Studie belege, „dass gerade in der als Generation Y bezeichneten Arbeitnehmergeneration ein Wertewandel weg von materiell-monetären hin zu ideell-familiären Anreizen stattfindet.“ Das beschriebene Phänomen und die Begrifflichkeiten lassen aus Sicht des Zeithistorikers aufhorchen. Denn hier wird mit Wertewandel im Bereich der Arbeit ein Vorgang angesprochen, der klassischerweise mit dem sogenannten „Wertewandelsschub“ der späten 1960er und frühen 1970er Jahre in Verbindung gebracht wird. Zum anderen ist die Terminologie bemerkenswert, die sich stark an die zeitgenössische sozialwissenschaftliche Wertewandelsforschung von Helmut Klages anlehnt, der in den 1970er Jahren von einer Verschiebung von „Pflicht- und Akzeptanzwerten“ zu „Selbstentfaltungswerten“ sprach. Die neuerliche Wahrnehmung eines gerade stattfindenden Wertewandels mit ähnlicher Stoßrichtung macht einerseits einen kritischen Blick auf die bisher von Historikern üblicherweise akzeptierten Ergebnisse der älteren sozialwissenschaftlichen Werteforschung notwendig, zum anderen fordert er die Frage nach Hintergründen, Mechanismen und öffentlichen Verhandlungen von Wertverschiebungen heraus. Die Tagung in Mainz möchte dieser Frage mit Blick auf Wirtschaft und Arbeitswelt nachgehen und insbesondere die klassische „Wertewandelsphase“ (ca. 1965 bis 1975) und ihre Folgen bis zur Wiedervereinigung in den Mittelpunkt stellen. Bei der historischen Erforschung dieser Jahrzehnte gab es in den letzten Jahren einen starken Trend, ökonomischen und sozioökonomischen Faktoren eine große Bedeutung zuzusprechen. Dabei werden den 1970er und 1980er Jahren vor allem innerhalb des Strukturbruchparadigmas besondere Bedeutung für eine Problemgeschichte der Gegenwart beigemessen: in den Jahrzehnten „nach dem Boom“ (Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael) sind demnach die „Anfänge der Gegenwart“ (Morten Reitmayer/Thomas Schlemmer) zu finden. Gleichzeitig interessiert sich auch die deutsche Unternehmens- und Industriegeschichte verstärkt für diese Zeit und fragt, inwiefern sich in den 1970er und 1980er Jahren ein „neuer Geist des Kapitalismus“ (Luc Boltanski/Ève Chiapello) durchgesetzt hat. Ziel der Tagung ist es, diese Stränge der Forschung zusammenzuführen und nach grundsätzlichen Veränderungen von ökonomischer Kultur und sozial-kulturellen Mentalitäten zu fragen: Wie haben sich vor dem Hintergrund gesellschaftlichen und ökonomischen Wandels Arbeitsethos, Leistungsvorstellungen und Führungskonzepte seit dem vermeintlichen (ersten?) „Wertewandelsschub“ verändert? Zugleich: Welche Kontinuitäten lassen sich beobachten und wie muss ein Wandel beschrieben werden, der sich rund 40 Jahre nach der „stillen Revolution“ (Ronald Inglehart) erneut zu vollziehen scheint? Hierbei soll die soziale Praxis in Wirtschaft und Arbeitswelt selbst, also das Feld der Betriebe, Unternehmen und Verwaltungen sowie die Perspektive der dort handelnden Akteure (Arbeitnehmer, Unternehmer und Führungskräfte) und ihrer Verbände berücksichtigt werden, zugleich aber auch die Ebene der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung reflektiert werden. Wer nahm wann, wie und warum fundamentale Veränderungen wahr und welche Folgen hatte die Wahrnehmung solcher Veränderungen für die beschriebenen Prozesse selbst? Welche Rolle spielten in diesem Zusammenhang Wirtschaftsjournalismus und Managementliteratur auf der einen, wissenschaftliche Reflexion in Form von sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Analysen oder stärker praxisbezogenen Studien der „Arbeitswissenschaften“ auf der anderen Seite? Notwendig erscheint zudem eine transnationale Öffnung der Frage nach Veränderungen in der Bundesrepublik und dem (west-) deutschen Charakter des Wertewandels: Welche Rolle spielten nationale Entwicklungen und Traditionen bzw. spezifische Wahrnehmungen „deutscher“ Krisen und Probleme, und inwiefern muss der Wandel in der Bundesrepublik als Ergebnis transnationaler und globaler Verschiebungen bzw. als Folge der Einbindung Westdeutschlands in internationale Organisationen und Strukturen verstanden werden?


Forschungsverbund:
DFG-Antragspaket „Nach dem Boom“

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