IM GESPRÄCH mit IRTG-Doktorandin Sophie Schram über Grenzen in einer globalisierten Welt

Das Gespräch führte Carolin Retzlaff.

In einem kleinen Land wie Luxemburg ist die Grenze ja ein allgegenwärtiges Phänomen. Wie lange beschäftigt dich das Thema „Grenze“ denn schon?

Wenn ich mein Projekt vorstelle, beginne ich immer damit zu sagen, dass ich persönlich mit politischen Grenzen Erfahrungen gemacht habe und deswegen darüber forsche. Ich sehe das gar nicht als Problem für meine wissenschaftliche Objektivität, sondern eher als „Augenöffner“: Ich bin eben in einer Grenzregion groß geworden – ich bin aus Schengen in Luxemburg – und habe schon als Kind wahrgenommen, wie meine Eltern und Großeltern über diese Grenze sprechen und welche Erinnerungen sie damit verbinden. Die Grenze ist bei mir einfach sehr präsent und als Phänomen hat sie mich daher immer interessiert. Das ist auch der Grund, warum ich Europawissenschaften studiert habe und eben auch der Grund, warum ich meine Dissertation darüber schreibe.

 

Du beschäftigst dich damit, wie Grenzen in einer globalisierten Welt diskursiv konstruiert werden. Wo ist dein Ausgangspunkt?

Ich gehe davon aus, dass Grenzen nicht natürlich sind – ein Fluss beispielsweise ist nicht von sich aus eine Grenze, er wird zu einer Grenze gemacht. Außerdem gehe ich davon aus, dass eine Grenze nicht nur das ist, was auf dem Papier oder in einem Gesetz festgehalten wird, sondern dass sie in Diskursen und practices verhandelt werden. Aus verschiedenen Gründen konzentriere ich mich auf die Diskurse. Die darauf aufbauende Frage ist dann, wie werden Grenzen in Diskursen verhandelt? Dafür schaue ich mir politische Diskurse an und analysiere Interviews, Parlamentsdebatten und Regierungsdokumente. Ich frage, wie nationale Grenzen hier dargestellt werden und als politische Ressourcen mobilisiert werden.

Interessant ist, dass in den Politikwissenschaften heute immer noch im Nationalstaatsparadigma gedacht wird – ich sage aber: es gibt Nationen innerhalb von multinationalen Systemen, beispielsweise Québec in Kanada und Frankreich in der EU, die nicht mehr diese klare nationalstaatliche Grenze haben, die in jeder Situation gleich ist – die Wirtschaftsgrenzen sind beispielsweise sehr weit, die sozialstaatliche sehr eng – und hier möchte ich wissen: Wie gehen diese kleinen Nationen innerhalb großer Systeme mit ihrer Nationalgrenze um, wie denken sie darüber nach?

In den border studies geht es viel um die globalisierte Welt und „boundary crossing“, alles ist offen und hybrid, aber wieso reden dann die Québecer von der „frontière Québecoise“ ? Wieso gibt es immer noch diese Idee von stabilen Grenzen, die nicht fluide sind? Da interessiert mich: Wie geht man damit um, wenn man in einem System lebt, das politisch so angelegt ist, dass die Grenze größer ist als die Nation? Dabei kommt dann das Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Kultur in den Mittelpunkt, wie auch die Machtkonstellationen, die mit Grenzen einhergehen.

 

Mit welchem Aspekt beschäftigst du dich gerade?

Ich arbeite gerade über das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU. Dabei finde ich besonders Québec interessant, weil es eine kanadische Provinz ist, die sich trotzdem in diesem internationalen Kontext positioniert und agiert. Die Situation Québecs vergleiche ich mit Frankreichs Position innerhalb der EU. Hier kommt die Histoire Croisée ins Spiel, die für das Konzept des IRTG maßgebend ist: Der externe, nicht-statische Blick auf ein Thema – in diesem Fall mein Blick als Europäerin auf Québec – ermöglicht eine umfassendere Perspektive. Durch meinen Blick von „außen“ und gleichzeitig durch den intensiven Kontakt zu kanadischen Kollegen und Betreuern während meiner Forschungsaufenthalte, versuche ich interessante Erkenntnisse zu gewinnen, die man vielleicht als Québecer so nicht sehen würde, weil man zu sehr am Diskurs beteiligt ist.

Du arbeitest seit September 2013 an deinem Projekt. Was hat sich in der ersten Phase inhaltlich und methodisch verändert?

Was sich zuerst für mich verändert hat und anfangs eine recht große Schwierigkeit darstellte, war, dass ich Politikwissenschaften nie in Deutschland studiert habe, sondern international. Dadurch habe ich die oft sehr spezifischen Methoden und die Fachliteratur in Deutschland nicht so gut gekannt und musste mich erst einlesen. Ich musste mir die deutsche Perspektive also erst einmal erarbeiten, was auch gut ist, denn schließlich möchte ich hier im Fachbereich promoviert werden. Diese neue Perspektive hat dann auch mein Konzept verändert: Ich wollte zuerst stärker von der Mikro-Perspektive ausgehen. Vor dem Hintergrund der deutschen Politikwissenschaften und nach vielen Gesprächen habe ich festgestellt, dass das eher auf dem Papier gut aussieht, dass ich diese Methode aber eigentlich nicht drei Jahre lang machen möchte. Das ist auch das Schöne an dem interdisziplinären Kolleg, wir haben hier auch Anthropologen, Soziologen und viele andere, und mit denen habe ich mich genauer über ihre Methoden der Feldforschung ausgetauscht. Allmählich habe ich dann gemerkt, dass das für mich nicht das Richtige ist. Ich forsche über Grenzen und ein Jahr an einer Grenze sitzen und schauen, wie die Leute dort damit umgehen, wäre nichts für mich gewesen. Ich habe also mein Projekt etwas reorientiert und arbeite jetzt mit Diskursanalyse. Das passt von der deutschen wie auch von der Québecer Seite momentan sehr gut und insofern kann ich da gut „andocken“. Das hat aber auch damit zu tun, dass dann in Montréal Spezialisten vor Ort sind, die ich konsultieren kann. Man sollte ja mit seinem Thema schon auch auf Konferenzen eingeladen werden – und wenn du über ein Thema schreibst, das momentan gar nicht aktuell ist, dann wirst du nicht eingeladen. So wie ich mein Projekt jetzt angesiedelt habe, passt es im Moment schon eher auf zu viele Konferenzen.

Dein Projekt kann inhaltlich also an vielen Forschungsfeldern andocken. Ist es eine Herausforderung, sich auf eine Linie zu konzentrieren?

Wenn ich mein Projekt vorstelle, merke ich schnell, dass jeder darin etwas anderes sieht. Diese Abgrenzung ist eine Schwierigkeit: Jeder verbindet auch seine persönlichen Erfahrungen damit. Beispielsweise wurde mir geraten, mich mit den „First Nations“ in Kanada auseinanderzusetzen oder nur auf der Mikroebene zu arbeiten, und so weiter. Das ist für mich schwierig, weil ich eben meine Forschungsfrage nachvollziehe – alle anderen sind auch interessant, die mache ich aber nicht. Das ist jetzt meine Strategie. Ich arbeite zu politischen Diskursen, practices in everyday lives sind auch interessant, die mache ich aber nicht. Diese Linie zu bewahren ist nicht immer so einfach. Das ist die Herausforderung, aber auch das Schöne an einem interdisziplinären Graduiertenkolleg: Man kann sich an vielen Diskussionen beteiligen.