II.07: Neo Muslima-Netzwerke als Antwort auf androzentrischen Islam und kategoriale Fremdstereotype

Pro­jekt­be­schrei­bung

Im Zen­trum die­ser Stu­die ste­hen aus­ge­wähl­te Netz­wer­ke mus­li­mi­scher Frau­en in Deutsch­land. Dabei liegt der Un­ter­su­chungs­fo­kus auf ihren Or­ga­ni­sa­ti­ons- und Ver­net­zungs­struk­tu­ren sowie der Rolle von Kol­lek­ti­vi­den­ti­tä­ten und Re­li­gi­on in­ner­halb der Netz­wer­ke sowie ihrer Po­si­tio­nie­rung in­ner­halb der ge­samt­ge­sell­schaft­li­chen Frau­en- und Is­lam­po­li­tik. Die Netz­wer­ke wur­den an­hand vor allem qua­li­ta­ti­ver Netz­werk­me­tho­den un­ter­sucht. Im Pro­jekt wur­den in einem ers­ten Schritt vier aus­ge­wähl­te Netz­wer­ke mus­li­mi­scher Frau­en in Deutsch­land un­ter­sucht: IMAM, ZIF, HUDA und ein Netz­werk, wel­ches nicht ge­nannt wer­den möch­te. Die avi­sier­te Un­ter­su­chungs­grup­pe um­schließt dabei vor allem Vor­stands- und ak­ti­ve Mit­glie­der der Netz­wer­ke, die auf­grund ihrer Po­si­ti­on und/oder lang­jäh­ri­gen Mit­glied­schaft einen guten Über­blick über die Or­ga­ni­sa­ti­ons- und re­li­giö­sen Struk­tu­ren der Netz­wer­ke be­sit­zen. Par­al­lel zur qua­li­ta­ti­ven Da­ten­er­he­bung und -aus­wer­tung wurde ein quan­ti­ta­ti­ver Fra­ge­bo­gen zur So­zio­de­mo­gra­phie, Re­li­gio­si­tät, zum ge­sell­schafts­po­li­ti­schen En­ga­ge­ment sowie in­ner- wie au­ße­ris­la­mi­sche In­te­gra­ti­on der Mit­glie­der er­stellt und in einem Pro­be­sam­pling (n=140) ein­ge­setzt.

Ar­beits­stand

Die durch per­sön­li­che In­ter­views und Fra­ge­bo­gen er­ho­be­nen Netz­werk­da­ten von ins­ge­samt ca. 140 Pro­ban­din­nen sowie ein gro­ßer Teil der Da­ten­aus­wer­tung sind in­zwi­schen ab­ge­schlos­sen, so dass im Fol­gen­den erste Er­geb­nis­se vor­ge­stellt wer­den kön­nen: 

  • Alle Netz­wer­ke be­sit­zen einen star­ken Bezug zur Idee eines ‚weib­li­chen Islam’, auch wenn die­ser je un­ter­schied­lich in­ter­pre­tiert wird. Der Vor­stand ist weib­lich, was dar­auf zu­rück­zu­füh­ren ist, dass Grün­dungs­mo­tiv und Selbst­ver­ständ­nis u.a. auf der Kri­tik an einer an­dro­zen­tri­schen Struk­tur an­de­rer mus­li­mi­scher Or­ga­ni­sa­tio­nen ba­siert. Die An­ge­bo­te rich­ten sich an mus­li­mi­sche Frau­en bzw. Mäd­chen, die einen star­ken Bezug zu Deutsch­land und zur deut­schen Spra­che be­sit­zen, aber den­noch ihre mus­li­mi­sche Iden­ti­tät nicht auf­ge­ben wol­len. 
  • Die Netz­wer­ke un­ter­schei­den sie sich in ihrer Reich­wei­te: Wäh­rend die Vor­stands­mit­glie­der von HUDA in ganz Deutsch­land ver­teilt sind und auch das An­ge­bot, einen star­ken na­tio­na­len bzw. über­na­tio­na­len Cha­rak­ter be­sitzt, sind das in­halt­li­che An­ge­bot und po­li­ti­sche En­ga­ge­ment des ZIF und IMAN stär­ker auf das lo­ka­le Um­feld zu­ge­schnit­ten. 
  • In­ner­halb der ein­zel­nen Netz­wer­ke zeig­te sich eine re­la­tiv ho­mo­ge­ne Mit­glie­der­struk­tur. So be­steht etwa das Netz­werk HUDA zu 95 % aus Frau­en, die zum Islam kon­ver­tiert sind. 70% aller Mit­glie­der be­sit­zen einen hohen Bil­dungs­ab­schluss (Hoch­schul­rei­fe). Wei­ter­hin ist ein gro­ßer Teil der Mit­glie­der deut­scher Ab­stam­mung und ohne Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund. 
  • Mus­li­mi­sche Frau­en­netz­wer­ke ‚ver­or­ten’ sich zwi­schen ‚den’ Mus­li­men und ‚den’ Deut­schen. Dies zeigt sich nicht nur in ihrer The­men­wahl, Mit­glie­der­struk­tur und for­ma­len Struk­tur ihres Netz­werk­an­ge­bots (zwei­spra­chi­ge In­ter­net­sei­ten, Zei­tung usw.), son­dern auch in ihrer Öf­fent­lich­keits- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­po­li­tik: Sie pfle­gen so­wohl Kon­tak­te zu aus­ge­wähl­ten Ver­tre­tern der mus­li­mi­schen Com­mu­ni­ty (Zen­tral­rat der Mus­li­me usw.), zei­gen aber auch Prä­senz in öf­fent­li­chen Foren der deut­schen Mehr­heits­ge­sell­schaft (wis­sen­schaft­li­che Ta­gun­gen, kom­mu­na­le Sit­zun­gen, po­li­ti­sche Bil­dungs­ein­rich­tung usw.). 
  • Die un­ter­such­ten Netz­wer­ke un­ter­stüt­zen und för­dern eine vir­tu­el­le Ver­ge­mein­schaf­tung unter mus­li­mi­schen Frau­en. Auch wenn häu­fig kein Face-to-Face-Kon­takt der Mit­glie­der un­ter­ein­an­der be­steht, tei­len die Frau­en die Idee einer ‚mus­li­mi­schen Schwes­tern­schaft’ bzw. eine kol­lek­ti­ve Re­prä­sen­ta­ti­on der ‚eman­zi­pier­ten Mus­li­ma’, die als Ge­gen­ent­wurf zum Bild der ‚un­ter­drück­ten und un­mün­di­gen Mi­gran­tin’ ge­setzt wird und als Be­zugs­punkt ihrer über­lo­ka­len Ver­net­zung dient. 
     

Per­spek­ti­ven

Auf der Basis der Er­geb­nis­se zu mus­li­mi­scher Frau­en­netz­wer­ke in Deutsch­land sol­len wei­te­re im Kol­lek­tiv agie­ren­de mus­li­mi­sche Ak­ti­vis­tin­nen im Aus­land be­fragt und mit den deut­schen Netz­wer­ken ver­gli­chen wer­den. Ge­plant ist der Ver­gleich mit einem Netz­werk in einem mus­li­mi­schen und einem mul­ti­eth­ni­schen Kon­text. Mit die­ser re­gio­na­len Aus­wei­tung des Un­ter­su­chungs­fo­kus deckt das Pro­jekt bis Ende 2009 nicht nur die in­ter­na­tio­na­len Aus­ma­ße/glo­ba­le Ver­net­zung und In­hal­te eines ‚is­la­mi­schen Fe­mi­nis­mus’ auf, son­dern gibt auch Auf­schluss über seine mög­li­cher­wei­se un­ter­schied­li­chen Ak­teurs­grup­pen, kon­text­spe­zi­fi­schen Aus­drucks­wei­sen und Hand­lungs­stra­te­gi­en. Auch in die­ser Nach­fol­ge­stu­die sol­len quan­ti­ta­ti­ve wie qua­li­ta­ti­ve (Netz­werk-) Me­tho­den mit­ein­an­der kom­bi­niert wer­den. Mit Hilfe des im Clus­ter ent­wi­ckel­ten „Venn-Ma­kers“ soll eine ego­zen­trier­ten Netz­werkana­ly­se aus­ge­wähl­ter in­ter­na­tio­na­ler Ak­ti­vis­tin­nen (z.B. Mar­got Badran, Daisy Khan, Leila Ahmed, Asma Bar­las, Ha­mi­de Mo­hag­heghi o.a.) vor­ge­nom­men wer­den, die sich auf­grund ihrer Po­si­ti­on in den un­ter­such­ten Ver­ei­nen bzw. öf­fent­li­chen Re­prä­sen­tanz im Zen­trum der is­la­mi­schen Frau­en­be­we­gung be­fin­den, um ihre Reich­wei­te, in­ter­per­so­na­len Be­zie­hungs­ge­flech­te und -in­ten­si­tät, mög­li­cher­wei­se auch ihre Be­zie­hungs­struk­tu­ren und Ak­ti­vi­tä­ten im Zeit­ver­lauf, aus­zu­leuch­ten und evtl. auch Rück­schlüs­se auf Schlüs­sel­fi­gu­ren und ihr so­zia­les Pro­fil (Stich­wort: Netz­werk­ha­bi­tus) zie­hen zu kön­nen. Da­ne­ben wird eine quan­ti­ta­ti­ve Ana­ly­se in Form einer stan­dar­di­sier­ten Be­fra­gung aller Mit­glie­der der aus­ge­wähl­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen mit dem be­reits in der ers­ten För­der­pha­se ent­wi­ckel­ten (und ein­ge­setz­ten) Fra­ge­bo­gen zur bes­se­ren Ver­gleich­bar­keit an­ge­strebt. (Stand Juli 2008) 

Team

Pro­jekt­lei­te­rin

Jun.-Prof. Dr. Julia Reu­ter

Mit­ar­bei­ter

Dipl.-Päd. Mar­kus Gam­per, M.A.

Stu­den­ti­sche Hilfs­kräf­te

Ruth Bol­lin­ger
Matt­hi­as Klaes

Publikationen

  • Julia Reu­ter / Mar­kus Gam­per, 2007: „Der Islam?“ Pro­ble­me und Per­spek­ti­ven ak­tu­el­ler Is­lam­for­schung in Deutsch­land. in: So­zio­lo­gi­sche Revue, Heft 1, S. 37-49.
  • Julia Reu­ter / Mar­kus Gam­per, 2007: Net­works of Mus­lim Women. A Cont­ri­bu­ti­on to Con­tem­pora­ry So­cio-Sci­en­ti­fic Islam Re­se­arch in Ger­ma­ny. In: 8th Me­di­ter­ra­ne­an Re­se­arch Mee­ting 2007. CD-ROM.
  • Julia Reu­ter / Mar­kus Gam­per, 2007: Is­la­mi­scher Fe­mi­nis­mus. Re­li­gi­on und Eman­zi­pa­ti­on in Mus­li­ma-Netz­wer­ken. In: Mi­gra­ti­on und so­zia­le Ar­beit, 3/4:
  • Julia Reu­ter / Mar­kus Gam­per, 2008: Mus­li­mi­sche Frau­en-Netz­wer­ke in Deutsch­land Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und In­ter­es­sen­ar­ti­ku­la­ti­on von Mi­gran­tin­nen. In: Fe­mi­na Po­li­ti­ca. Zeit­schrift für fe­mi­nis­ti­sche Po­li­tik­wis­sen­schaft, S. 81-93
  • Julia Reu­ter, 2008: Ju­gend­li­che Papst­pil­ger – Eman­zi­pier­te Mus­li­mas – rei­sen­de Or­dens­frau­en: Neue Ak­teu­re der Re­li­gi­ons­so­zio­lo­gie. In: So­cio­lo­gia In­ter­na­tio­na­lis, Heft 1: 31-48
Kategorie Allgemein