I.03: Schuldner- und Gläubigernetzwerke in frühneuzeitlichen Städten

Pro­jekt­be­schrei­bung

Ar­men­für­sor­ge war in der Frü­hen Neu­zeit ge­prägt durch das Span­nungs­ver­hält­nis von ob­rig­keit­li­cher Re­ge­lung und kom­mu­na­ler Zu­stän­dig­keit für die Durch­füh­rung. Neben den Zu­wen­dun­gen für un­mit­tel­ba­re all­täg­li­che Be­dürf­nis­se spiel­ten dabei vor allem die auf Dar­le­hens­ba­sis ge­währ­ten Un­ter­stüt­zun­gen eine wich­ti­ge Rolle. Hier nah­men die vom städ­ti­schen Rats­gre­mi­um ver­wal­te­ten, kom­mu­na­len Hos­pi­tä­ler eine zen­tra­le Stel­lung ein. Es stellt sich die Frage, ob diese Un­ter­stüt­zun­gen nur an Be­dürf­ti­ge im Sinne der Ar­men­für­sor­ge ver­ge­ben oder ob sie auch be­nutzt wur­den, um in Kom­mu­nen be­stimm­te Grup­pen wirt­schaft­lich kon­kur­renz­fä­hig zu er­hal­ten bzw. zu ma­chen, wer die Ent­schei­dungs­kom­pe­tenz zur Ver­ga­be der Dar­le­hen in den Kom­mu­nen hatte, wie diese Per­so­nen über Netz­wer­ke mit den Dar­le­hens­neh­mern ver­bun­den waren, ob die Dar­le­hens­ver­ga­be ge­zielt als Steue­rungs­in­stru­ment zur Stra­ti­fi­zie­rung der kom­mu­na­len Ge­sell­schaft be­nutzt wurde oder ob diese Dar­le­hen eine wirk­li­che Al­ter­na­ti­ve zu pri­va­ten Dar­le­hen und deren spe­zi­fi­schen Ab­hän­gig­keits­struk­tu­ren waren.
Dabei stell­ten die von den Hos­pi­tä­lern ver­ge­be­nen Dar­le­hen Hy­po­the­ken­kre­di­te auf eine oder meh­re­re Lie­gen­schaf­ten dar, die im Falle aus­blei­ben­der Zins­zah­lun­gen ge­pfän­det wer­den konn­ten. Neben den Hos­pi­tä­lern tra­ten vor allem die Pfarr­kir­chen der Stadt als Kre­dit­ge­ber in diese Rich­tung auf.
In einer Pi­lot­stu­die wird die Fra­ge­stel­lung am Bei­spiel der Stadt Trier im 15. und 16. Jahr­hun­dert ver­folgt, wobei das Haupt­au­gen­merk auf dem kom­mu­na­len St. Ja­kob­shos­pi­tal liegt. Da­ne­ben wer­den wirt­schaft­li­che Daten aus den Rech­nungs­bü­chern des Hos­pi­tals (Prei­se, Löhne) er­ho­ben, um die Pra­xis der Kre­dit­ver­ga­be vor dem Hin­ter­grund re­gio­na­ler Wirt­schafts­kon­junk­tu­ren bes­ser ver­ste­hen zu kön­nen. Durch Ver­glei­che mit wei­te­ren in­sti­tu­tio­nel­len Gläu­bi­gern (wie Pfarr­kir­chen und Bru­der­schaf­ten) soll sich so ein Ge­samt­bild des städ­ti­schen Hy­po­the­ken­kre­dit­mark­tes er­ge­ben, das Ver­flech­tun­gen und Netz­wer­ke auf­deckt, die dann ins­be­son­de­re auf ihr Ver­hal­ten in Kri­sen­zei­ten hin un­ter­sucht wer­den.

Ar­beits­stand und bis­he­ri­ge Er­geb­nis­se

Neben den Rech­nungs­bü­chern der Hos­pi­tal- und Zins­meis­te­rei, sind mitt­ler­wei­le auch die Lie­gen­schafts­re­gis­ter der Stadt Trier bis 1600 er­fasst wor­den. Dar­über hin­aus lie­gen nun auch die Daten zur Kre­dit­ver­ga­be der Pfarr­kir­che St. Gan­golf vor, nach dem Hos­pi­tal einer der wich­tigs­ten Hy­po­the­ken­kre­dit­ge­ber. Der hohe An­teil der in­sti­tu­tio­nel­len Dar­le­hens­ge­ber (Hos­pi­tä­ler, Kir­chen, Klös­ter, Bru­der­schaf­ten) konn­te be­son­ders für be­reits iden­ti­fi­zier­te Kri­sen­zei­ten nach­ge­wie­sen wer­den. Erste Aus­wer­tun­gen des Da­ten­be­stan­des haben eine stark räum­lich ge­präg­te Pra­xis der Kre­dit­ver­ga­be zu Tage ge­bracht. Wäh­rend die Pfarr­kir­chen vor­nehm­lich in ihrem je­wei­li­gen Spren­gel Dar­le­hen ge­währ­ten, zeigt sich auch bei den quer zur Pfarr­glie­de­rung lie­gen­den Klös­tern eine ein­deu­tig auf räum­li­che Nähe aus­ge­rich­te­te Kre­dit­ver­ga­be. Die Dar­le­hen des kom­mu­na­len Hos­pi­tals waren da­hin­ge­gen so breit ge­streut, dass es als ge­samt­städ­ti­sche Bank an­ge­spro­chen wer­den kann. Mit Blick auf die Ar­men­für­sor­ge zeigt sich aber, dass letzt­lich nur über Grund­be­sitz ver­fü­gen­de Grup­pen Kre­di­te auf­neh­men konn­ten, die ver­mö­gens­lo­se Schicht also nicht davon pro­fi­tie­ren konn­te. Dabei deckt sich der An­teil der in Zünf­ten or­ga­ni­sier­ten Grup­pen am städ­ti­schen Im­mo­bi­li­en­ver­mö­gen (W. Laufer, So­zi­al­struk­tur der Stadt Trier) mit deren Kre­dit­auf­nah­me am Hy­po­the­ken­kre­dit­markt. Des wei­te­ren hat sich in der Aus­wer­tung er­ge­ben, dass sol­che Dar­le­hen meist in­ner­halb der ers­ten 10 Jahre zu­rück­ge­zahlt wur­den, sich daher das alte, auf lange Sicht als „Rente“ an­ge­leg­te Geld zu Be­ginn der frü­hen Neu­zeit be­reits zu einem wirk­li­chen und ef­fi­zi­en­tem Kre­dit­in­stru­ment wei­ter­ent­wi­ckelt hatte. Die An­wen­dung der Netz­werkana­ly­se stößt je­doch auf Grund der Quel­len­la­ge an seine Gren­zen. So kommt sie vor allem in ihrer qua­li­ta­ti­ven Aus­prä­gung in gut do­ku­men­tier­ten Ein­zel­fäl­len zur An­wen­dung, etwa bei grö­ße­ren Im­mo­bi­li­en­ge­schäf­ten in­ner­halb der Stadt­ge­mein­de oder bei Dar­le­hen, die mit­tels eines „Bro­kers“ nach au­ßer­halb ver­mit­telt wur­den.

Per­spek­ti­ven

Mit der Auf­nah­me der Rech­nungs­bü­cher einer wei­te­ren Pfar­rei (St. Lau­ren­ti­us) in den Da­ten­be­stand soll die Da­ten­auf­nah­me ab­ge­schlos­sen wer­den. Die be­reits lau­fen­den Aus­wer­tun­gen zur Auf­de­ckung von Netz­wer­ken soll fort­ge­führt und mit einer qua­li­ta­ti­ven Netz­werkana­ly­se näher be­leuch­tet wer­den. Schwer­punkt der gan­zen Un­ter­su­chung blei­ben wei­ter­hin die wirt­schaft­li­chen Kri­sen­zei­ten und das Ver­hal­ten der ein­zel­nen Kre­dit­ge­ber, die sich nach dem bis­he­ri­gen Stand des Pro­jek­tes bei Zins­aus­fäl­len recht mo­de­rat ver­hiel­ten und eher zur Ent­schul­dung als zur Pfän­dung ten­dier­ten. Je­doch las­sen sich je nach Art und Dauer der Kri­sen un­ter­schied­li­che Hand­lungs­mus­ter er­ken­nen, die es noch näher zu be­leuch­ten gilt. 
Eine ver­glei­chen­de Ana­ly­se zu an­de­ren Hy­po­the­ken­kre­dit­märk­ten, wie sie etwa für Ham­burg do­ku­men­tiert sind, soll das Bild ab­run­den. 
 

(Stand Au­gust 2009)

Team

Pro­jekt­lei­ter

Prof. Dr. Helga Schna­bel-Schü­le

Mit­ar­bei­ter

Tho­mas Wirtz, M.A.

Stu­den­ti­sche Hilfs­kraft

Jan Krel­ler

Publikationen

  • Wirtz, Tho­mas: Hos­pi­tä­ler als Kre­dit­ge­ber im Spät­mit­tel­al­ter und der frü­hen Neu­zeit, in: Zeit­schrift für Ver­brau­cher- und Pri­vat­in­sol­venz, Son­der­heft 15. Mai 2009, S. 54-57.
  • Wirtz, Tho­mas: Ver­trau­en und Kre­dit in der früh­neu­zeit­li­chen Stadt. Hy­po­the­ken­kre­di­te in Trier im 15. und 16. Jahr­hun­dert (in: Ta­gungs­band zum Sym­po­si­um „Gläu­bi­ger, Schuld­ner, Arme – Netz­wer­ke und die Rolle des Ver­trau­ens“ am 15. Mai 2009 in Mainz, im Druck).
Kategorie Allgemein