I.01: Netzwerkbildungen als Reaktion auf Statusbedrohungen in der römischen Oberschicht

Pro­jekt­be­schrei­bung

„Wo ist der Reich­tum, dem nicht Armut, Hun­ger und Bet­tel­stab un­ver­se­hens fol­gen könn­te? Wel­che Stel­lung auch noch so wür­de­voll schützt davor, dass dem Pracht­ge­wand, dem Au­gu­ren­schmuck und dem Pa­tri­zi­er­schuh sich auch er­nied­ri­gen­de Schmach und Aus­sto­ßung aus dem Senat und tau­sen­der­lei Be­schimp­fun­gen und völ­li­ge Miss­ach­tung bei­ge­sel­le?“
(Se­ne­ca, de tran­qui­li­ta­te animi, 11,9)

Das Pro­jekt be­fasst sich mit der Er­for­schung der Un­ter­stüt­zungs­netz­wer­ke der Ober­schich­ten, be­son­ders des Se­na­to­ren­stan­des im rö­mi­schen Reich. Es un­ter­sucht die Schutz­me­cha­nis­men, die ein Mit­glied des Se­na­to­ren­stan­des vor einem Sta­tus­ver­lust durch Ver­ar­mung be­wah­ren soll­ten. Ent­wick­lung und Wan­del die­ser Me­cha­nis­men in der Um­bruchs­zeit von der Re­pu­blik auf die Kai­ser­zeit ste­hen im Fokus des In­ter­es­ses. Die Me­tho­dik der qua­li­ta­ti­ven Netz­werkana­ly­se wird an die Be­son­der­hei­ten der An­ti­ke an­ge­passt. Hier­mit wird ge­wis­ser­ma­ßen Grund­la­gen­for­schung be­trie­ben, da diese Theo­rie­per­spek­ti­ve bis­lang nur äu­ßerst sel­ten im Be­reich der Alten Ge­schich­te zur An­wen­dung kam (vgl. Alex­an­der/Da­now­ski: Ana­ly­sis of an an­ci­ent net­work: per­so­nal com­mu­ni­ca­ti­on and the study of so­ci­al struc­tu­re in a past so­cie­ty, in: So­ci­al Net­works 12 (1990) 313-335).

Perspektive

Bei der quel­len­ana­ly­ti­schen Aus­wer­tung des Ma­te­ri­als so­wohl für die späte Re­pu­blik als auch für die frühe Kai­ser­zeit, wurde deut­lich, dass die Be­schrän­kung auf fi­nan­zi­el­le Kri­te­ri­en bei der Er­he­bung der Quel­len zu eng ge­fasst ist. Wur­den bis­her nur sol­che Ver­bin­dun­gen zwi­schen Se­na­to­ren und an­de­ren Stän­den und Schich­ten er­fasst, die ent­we­der ex­pli­zit die Mög­lich­keit eines fi­nan­zi­el­len Aus­tau­sches boten, oder tat­säch­lich in einem Kre­dit oder Dar­le­hen en­de­ten, sol­len nun in einem zwei­ten Schritt die Rah­men­kri­te­ri­en er­wei­tert wer­den und, neben den fi­nan­zi­el­len Tran­fers, bis zu einem ge­wis­sen Grad auch die po­li­ti­schen und freund­schaft­li­chen Bin­dun­gen der rö­mi­schen Ge­sell­schaft be­rück­sich­tigt wer­den (ami­ci­tia). Ami­ci­tia be­stand auch und vor allem unter po­li­ti­schen Ver­bün­de­ten und ver­lang­te – in Zei­ten der Krise – ge­ra­de­zu nach fi­nan­zi­el­lem und an­ders­ar­ti­gem Bei­stand unter ami­cii. Auch wenn fi­nan­zi­el­le Hil­fe­leis­tun­gen nicht kon­kret nach­weis­bar sind, kann man sie mit ei­ni­gem Recht ver­mu­ten. Daher müs­sen diese Ver­bin­dun­gen auch in die Un­ter­su­chung mit auf­ge­nom­men wer­den. Mit der dar­aus re­sul­tie­ren­den, grö­ße­ren Zahl an Netz­werk-mit­glie­dern wird die Ana­ly­se des Netz­wer­kes ge­winn­brin­gen­der. Die pro­so­po­gra­phi­sche Er­fas­sung der Mit­glie­der, die für das bis­her aus­ge­mach­te Netz­werk Ci­ce­ros schon weit fort­ge­schrit­ten ist, muss dabei wei­ter­ge­führt und ver­tieft wer­den, um Rück­schlüs­se auf die so­zia­len Be­din­gun­gen der Netz­wer­ke zu geben. Eine er­neu­te Sich­tung der Quel­len unter die­sen Be­din­gun­gen wird bis zum Ende der mo­men­ta­nen För­de­rungs­pha­se (Mai 2008) nicht mög­lich sein. Neben dem Brief­ver­kehr und den li­te­ra­ri­schen Quel­len müs­sen auch epi­gra­phi­sche und ju­ris­ti­sche Zeug­nis­se her­an­ge­zo­gen wer­den. Eine stär­ke­re Ein­be­zie­hung des Rit­ter­stan­des ist not­wen­dig, da die enge wirt­schaft­li­che Ver­flech­tung der bei­den obe­ren Stän­de dazu füh­ren, dass die Un­ter­stüt­zungs­netz­wer­ke aus­nahms­los Ver­tre­ter bei­der Schich­ten um­fas­sen. Ge­ra­de in der frü­hen Kai­ser­zeit spie­len Rit­ter eine immer grö­ße­re Rolle in der kai­ser­li­chen Reichs­ver­wal­tung. Fi­nan­zi­el­le Li­qui­di­tät er­setz­te aris­to­kra­ti­sche Her­kunft als Aus­wahl­kri­te­ri­um. Nach einer Er­wei­te­rung des Un­ter­su­chungs­zeit­rau­mes bis zum Ende des 2. Jahr­hun­derts n. Chr. fällt hier das Au­gen­merk auf die ste­tig wach­sen­de Be-deu­tung von Ver­wand­ten und v. a. auch von Frei­ge­las­se­nen bei der Be­wäl­ti­gung se-na­to­ri­schen Geld­man­gels. Da­ne­ben rü­cken auch die Städ­te und die städ­ti­sche Aris­to­kra­tie (De­kurio­nen) in den Mit­tel­punkt un­se­res In­ter­es­ses. In­wie­weit sie ihrem Pa­tron, wegen vor­aus­ge­gan­ge­ner an sie ge­rich­te­ter Spen­den, im Be­darfs­fall auch fi­nan­zi­el­le Hilfe leis­ten muss­ten und somit zu sei­nem Kreis von po­ten­ti­el­len Un­ter­stüt­zungs­res­sour­cen ge­zählt wer­den kön­nen, bleibt noch zu klä­ren. Da­ne­ben soll die recht­li­che Basis des Schul­den- und Kre­dit­we­sens wei­ter er­forscht wer­den.

Ar­beits­stand

Erste Re­sul­ta­te lie­gen ins­be­son­de­re für die Zeit der Spä­ten Re­pu­blik vor. Hier wird ein weit ver­zweig­tes Un­ter­stüt­zungs­netz­werk in­ner­halb der Se­na­to­ren­schicht deut­lich, das sich teil­wei­se auch auf die rangnied­ri­ge­ren Schich­ten aus­dehnt. Es dien­te der An­samm­lung von so­zia­lem Ka­pi­tal und äu­ßer­te sich vor­nehm­lich in Kre­di­ten und fi­nan­zi­el­len Zu­wen­dun­gen. Die von uns nach­ge­wie­se­ne Exis­tenz eines sol­chen Netz­wer­kes be­ruht auf der Ana­ly­se des per­sön­li­chen Brief­ver­kehrs Ci­ce­ros, der es er­mög­licht, die Mit­glie­der sei­nes Netz­wer­kes – ins­ge­samt rund 60 Per­so­nen zu er­mit­teln. Ba­sie­rend auf dem ci­ce­ro­nia­ni­schen Brief­cor­pus und an­de­ren, größ­ten­teils li­te­ra­ri­schen Quel­len, kann eine all­ge­mei­ne Ver­brei­tung sol­cher Netz­wer­ke in­ner­halb des Se­na­to­ren­stan­des seit etwa Mitte des zwei­ten Jahr­hun­derts v. Chr. an­ge­nom­men wer­den. Für die Zeit des be­gin­nen­den Prin­zi­pats lässt sich auf Grund einer schlech­ten Quel­len­la­ge nur schwer eine re­gel­rech­te Netz­werkana­ly­se durch­füh­ren. Au­ßer­dem muss mit einer Ver­wand­lung und teil­wei­sen Ver­küm­me­rung der Un­ter­stüt­zungs­netz­wer­ke ge­rech­net wer­den. Es ist noch nicht deut­lich, ob diese gänz­lich weg­bra­chen oder in trans­for­mier­ter Form wei­ter exis­tier­ten. An die Stel­le der se­na­to­ri­schen So­li­da­ri­tät war die kai­ser­li­che Frei­gie­big­keit (li­be­ra­li­tas) ge­tre­ten – es ist davon aus­zu­ge­hen, dass sich die Bei­stand­ser­war­tun­gen der in Not ge­ra­te­nen Se­na­to­ren von ihren Stan-des­ge­nos­sen auf den Kai­ser ver­la­ger­ten. Ein Men­ta­li­täts­wan­del, der die Ver­schul­dung von Se­na­to­ren nun auch im Ge­gen­satz zur Re­pu­blik ne­ga­tiv kon­no­tier­te, un­ter­grub die So­li­da­ri­tät zu­sätz­lich. Mo­men­tan wird vor allem einer spe­zi­fi­schen Form der kai­ser­li­chen Un­ter­stüt­zung nach­ge­gan­gen: In­wie­weit konn­te und woll­te der Kai­ser sei­nen po­li­ti­schen Freun­den und sei­nen Ver­wand­ten – etwa durch die Zu­tei­lung von gut do­tier­ten Statt­hal­ter­pos­ten – eine schnel­le ‚Sa­nie­rung’ ihrer Fi­nan­zen vor dem dro­hen­den Sta­tus­ver­lust er­mög­li­chen? Eine sol­che Form der Un­ter­stüt­zung könn­te ur­säch­lich sein, für das sich in den Quel­len ab­zeich­nen­de Ver­schwin­den der se­na­to­ri­schen Netz­wer­ke.

Die Ar­beit am Pro­jekt hat be­reits zu zwei wis­sen­schaft­li­chen Qua­li­fi­ka­ti­ons­ar­bei­ten ge­führt:

Su­san­ne Scha­ke: Zur öko­no­mi­schen und so­zia­len Stel­lung des T. Pom­po­ni­us At­ti­cus (Staats­ex­amens­ar­beit 2008)
Chris­ti­an Rol­lin­ger: Sol­ven­di sunt nummi. Die Schul­den­kul­tur der Spä­ten Rö­mi­schen Re­pu­blik im Spie­gel der Schrif­ten Ci­ce­ros (Ma­gis­ter­ar­beit 2008)

Stand: Mai 2009

 

Team

Pro­jekt­lei­te­rin

Prof. Dr. Eli­sa­beth Herr­mann-Ot­to

Mit­ar­bei­ter

Na­tha­lie Bis­sen
Chris­ti­an Rol­lin­ger, M.A.
Anna Ka­tha­ri­na Schö­nen

Hilfs­kraft:

Matt­hi­as Bix­ler

Publikationen

  • Eli­sa­beth Herr­mann-Ot­to/Na­tha­lie Bis­sen/Chris­ti­an Rol­lin­ger: Schuld­ner und Gläu­bi­ger­be­zie­hun­gen im rö­mi­schen Se­na­to­ren­stand der Zei­ten­wen­de, in: Zeit­schrift für Ver­brau­cher- und Pri­vat­in­sol­venz­recht, Son­der­heft 15. Mai 2009, S. 37-45.
  • Rol­lin­ger, Chris­ti­an: Sol­ven­di sunt nummi. Die Schul­den­kul­tur der Spä­ten Rö­mi­schen Re­pu­blik im Spie­gel der Schrif­ten Ci­ce­ros (im Druck, vorr­aus­sicht­lich Au­gust/Sep­tem­ber 2009).
  • Rol­lin­ger, Chris­ti­an: Kre­dit und Ver­trau­en in der rö­mi­schen Ober­schicht (in: Ta­gungs­band zum Sym­po­si­um „Gläu­bi­ger, Schuld­ner, Arme – Netz­wer­ke und die Rolle des Ver­trau­ens am 15. Mai 2009 in Mainz, er­scheint 2009).
Kategorie Allgemein