Beschreibung
Im Jahr 2008 veröffentlicht die Bundesrepublik Deutschland den 3. Armuts- und Reichtumsbericht. Der Bericht stellt die Lebenslage der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger in Bezug auf Einkommen, Vermögen und Schulden dar und empfiehlt breit angelegte Maßnahmen zur Prävention und Intervention prekärer Lebenslagen. Der Maßnahmenkatalog zielt auf den Ausbau von Unterstützungsangeboten in den Bereichen Betreuung, Beratung, Bildung und Weiterbildung. Dadurch soll es gelingen, den Einzelnen aus der Abhängigkeit von Transferzahlungen des Staates zu befreien (BMAS, 2008, S. I). Das Statistische Bundesamt hat im Jahr 2005 Ergebnisse der Studie „Leben in Europa“ zu Armut und sozialer Ausgrenzung für Deutschland vorgestellt. Danach waren in Deutschland im Jahr 2004 13% der Bevölkerung armutsgefährdet. Das entspricht etwa 10,6 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Kinder unter 16 Jahren. Die Armutsgefährdungsquote liegt in den neuen Ländern bei 17%, im alten Bundesgebiet bei 12% (Statistisches Bundesamt, 2006). Armutsrisiken sind vor allem Arbeitslosigkeit und fehlende Bildungsabschlüsse. Über 40% der Arbeitslosen und jeweils ein Viertel der Personen ohne abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung sind armutsgefährdet, dagegen sind es nur 5% bei den Erwerbstätigen (Statistisches Bundesamt, 2006).
Das Lexikon zur Soziologie definiert Armut als Begriff, der soziale oder ökonomische Randlagen beschreibt. Es wird dabei in freiwillige Armut, wie sie z.B. bei verschiedenen religiös motivierten Gruppen (z.B. Franziskanerorden) anzutreffen ist, absolute Armut, das Überleben des Einzelnen betreffend sowie relative Armut unterschieden. Letztere bezieht sich auf die wirtschaftliche Lage einer Person. Armut ist dabei relativ zu dem, was in einer Gesellschaft als Mindeststandard definiert wird. Die relative Armut kommt demnach vor allem in industrialisierten Systemen vor und verweist implizit auf die Verteilung von Armut und Reichtum in einer Gesellschaft (Fuchs-Heinritz, Lautmann, Rammstedt, & Wienold, 1994, S. 62). Der Armuts- und Reichtumsbericht stützt sich auf den Begriff der relativen Armut und untersucht insbesondere die Spreizung der Gesellschaft in arme und reiche Schichten. Zur Überwindung dieser Schere identifiziert der Bericht das Thema „Bildung“ als einen passenden Schlüssel für die Gewährleistung sozialer Teilhabe und damit für die Eindämmung einer zunehmenden Verbreitung von Armut. Hierzu ist es notwendig, Bildung bereits im Kindesalter zu forcieren und erfolgversprechende Ausbildungs- und Beschäftigungschancen zu ermöglichen.
Einen besonderen Stellenwert bei der Betrachtung der Eingangsfaktoren auf den Arbeitsmarkt nimmt die Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein, weil sie den Hauptanteil an in Bildung und Ausbildung befindlichen Personen repräsentiert. Hinzu kommt die Feststellung, dass das Thema „Jugendverschuldung“ zunehmend an Bedeutung gewinnt, wenn auch das Ausmaß der Jugendverschuldung im Zeitraum 2004 bis 2007 stagniert. Der Anteil an insgesamt verschuldeten Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren liegt bei etwa 13% (Schufa Holding AG, 2007, S. 33ff.). Dabei muss beachtet werden, dass sich diese 13% aus den registrierten Negativeinträgen bei der Schufa ergeben. D.h. Jugendliche und junge Erwachsene, die z.B. private Schulden haben oder in Dauerschuldverhältnissen stehen (Mobilfunkvertrag) werden nicht erfasst, zumindest so lange nicht, wie der Gläubiger auf eine Meldung des „ab-weichenden Zahlungsverhaltens“ bei der Schufa verzichtet. Die meisten jugendlichen Schuldner nehmen in erster Linie ihr unmittelbares Umfeld als Geldgeber in Anspruch. Etwa 43% der Jugendlichen sind bei ihren Eltern, etwa 40% bei ihren Freunden verschuldet (Gabanyi, 2007, S. 54). Hinzu kommt die Überlegung, dass eine Vielzahl der Personen in der Altersgruppe zwischen 18 und 24 Jahren noch im Elternhaus leben und darüber zumindest indirekt über die Teilhabe am verschuldeten Haushalt von Schulden betroffen sein können. Andererseits werden Verbindlichkeiten Jugendlicher häufig durch die Eltern beglichen. Eine Verschuldung, die nicht aus einer ökonomisch begründeten Planung entsteht, wie es z.B. bei Investitionen in Immobilien der Fall ist, entsteht durch Defizite im Konsumverhalten der Jugendlichen und jungen Erwachsenen und kann bei fehlender Gegensteuerung sukzessive den Weg in die Überschuldung bereiten. Lange (2004, S. 81ff.) stellt in Bezug auf das Konsumverhalten Jugendlicher zudem fest, dass Schüler und Studenten rund 80% und Auszubildende noch 77% ihres Einkommens zeitnah wieder ausgeben sowie mehr als 40% der Befragten angeben, überhaupt nicht zu sparen. Dieser Mangel an Rücklagenbildung gibt durchaus Anlass zur weiteren Fokussierung dieser Untersuchungsgruppe. Eine Reihe von Studien, die auslösende Faktoren von Ver- und Überschuldung hinterfragt haben, können zeigen, dass neben dem Eintreten kritischer Lebensereignisse wie Scheidung, Unfall oder Tod die Arbeitslosigkeit sowie mangelnde finanzwirtschaftliche Kenntnisse eine entscheidende Rolle spielen. Arbeitslosigkeit und Bildung stehen in enger Korrelation zueinander. Ebenso ist es denkbar, über den Schlüssel „Bildung“ die Defizite in den finanzwirtschaftlichen Kompetenzen zu überwinden. Hierzu muss geprüft werden, wie finanzwirtschaftliche Bildung wirken soll und welche weiteren Merkmale der Person das Konsumverhalten bzw. die Finanzkompetenz bestimmen.
Zusammenfügend ergibt sich aus den bisherigen Überlegungen folgende Orientierung: Im Zusammenhang mit Risikofaktoren der Überschuldung wird immer häufiger der Mangel an finanzwirtschaftlichen Kenntnissen genannt. Dies impliziert einen auf Basis von fehlenden Kompetenzen gearteten Umgang mit Geld. Als Schlüssel zur Überwindung der daraus resultierenden Gefahren soll die „Bildung“ herangezogen werden. Die inhaltliche Konzeptualisierung sowie die strukturelle Institutionalisierung der Aufgabe „Vermittlung finanzieller Allgemeinbildung“ bleiben zunächst offen. Ebenso bleibt offen, auf welche Ressourcen die individuellen Bewältigungsstrategien im Rahmen finanzieller Probleme zurückgreifen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass für die Überwindung monetärer Schwierigkeiten vorhandenes finanzwirtschaftliches Wissen aktiviert wird. Diese Annahme steht in der Tradition des klassischen Informationsverarbeitungsansatzes der Cognitive Science. Dabei wird angenommen, dass intelligentem Handeln ein bewusstes Abwägen von Wissen vorausgeht. Diese unmittelbare Kausalität von Wissen und Handeln wird bereits im Jahr 1949 von Ryle kritisiert (Ryle, 1949). Praktische Fertigkeiten können zwar ursächlich wissensmäßig angeleitet sein, mit zunehmender Erfahrung jedoch werden diese Kenntnisse nicht mehr notwendigerweise bewusst kontrolliert. Dieser Theorie folgend wird im vorgestellten Projekt die Frage analysiert, ob finanzielles Handeln neben dem Wissen durch weitere Ressourcen determiniert wird und die auf die reine Wissensvermittlung ausgerichteten Präventionsansätze angesichts dieser Hypothese überdacht werden müssen. Wissen wird dabei als die für das Entscheidungsverhalten originäre Determinante interpretiert. Begleitet wird diese kognitive Ebene von weiteren Dimensionen des Geldverhaltens, wie sozioökonomischen Faktoren, wie z.B. „soziales Kapital“ oder psychologischen Faktoren, die sich durch Dimensionen wie „persönliche Einstellungen“ oder „Selbstregulation“ beschreiben lassen.
Quellen
BMAS. (2008). Der 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesrepublik Deutschland. Abgerufen am 10. 11 2008 von http://www.bmas.de/coremedia/generator/26742/property=pdf/dritter__armuts__und__reichtumsbericht.pdf
Fuchs-Heinritz, W., Lautmann, R., Rammstedt, O., & Wienold, H. (1994). Lexikon zur Soziologie (Bd. 3). Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH.
Gabanyi, A., Hemedinger, F. & Lehner, M. (2007a). Jugendverschuldung. Analyse und Präventionsansätze. Studie der Schuldnerberatung Oberösterreich, der FH Oberösterreich und der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich. Gefunden unter http://www.fhooe.at/fileadmin/fileSystem/FuE/Linz/Projekte/Kurzbericht_Jugendverschuldung.pdf
Lange, E. (2004). Jugendkonsum im 21. Jahrhundert. Eine Untersuchung der Einkommens-, Konsum- und Verschuldungsmuster der Jugendlichen in Deutschland. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Ryle, G. (1949). The Concept of Mind. New University of Chicago. University of Chicago Press.
Schufa Holding AG (2008). Schufa Schuldenkompass 2008. Empirische Indikatoren der privaten Ver- und Überschuldung in Deutschland. Letzter Aufruf am 21.02.2009 unter http://www.schulden-kompass.de/downloads/sk08_gesamt.pdf
Schufa Holding AG (2007). Schufa Schuldenkompass 2007. Empirische Indikatoren der privaten Ver- und Überschuldung in Deutschland. Letzter Aufruf am 12.06.2008 unter http://www.schulden-kompass.de/downloads/sk07_gesamt.pdf
Team
Projektleitung
Herr Prof. Dr. Klaus Breuer Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Mitarbeiterin
Frau Dr. Daniela Barry Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Ehemalige Mitarbeiterin
Frau Dr. Nina Bender Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Projektanschrift
Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften
Lehrstuhl Wirtschaftspädagogik Prof. Dr. Klaus Breuer
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Jakob Welder Weg 9
55099 Mainz
Tel.: 06131 3924060
www.wipaed.uni-mainz.de
Publikationen
Barry, D., Bender, N., Breuer, K. & Ifenthaler, D. (2013). Shared cognitions in a field of informal learning. Knowledge maps towards money management of young adults. In D. Ifenthaler & R. Hanewald (Hrsg.), Digital knowledge maps in education. Technology enhanced support for teachers and learners. New York: Springer. S. 355 – 370.
Barry, D., Schiebe, V. & Breuer, K. (2013). Facetten der Validierung eines Instruments zur Messung der Einstellung zu Geld. In Forschungscluster ‚Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke‘ (Hrsg.), Schulden und ihre Bewältigung. Individuelle Belastungen und gesellschaftliche Herausforderungen. Wiesbaden: Springer VS. S. 9 – 28.
Barry, D. & Breuer, K. (2013). Umgang mit und Einstellung zu Geld von verschuldeten und nicht-verschuldeten jungen Erwachsenen. In Forschungscluster ‚Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke‘ (Hrsg.), Schulden und ihre Bewältigung. Individuelle Belastungen und gesellschaftliche Herausforderungen. Wiesbaden: Springer VS. S. 29 – 52.
Bender, N. & Barry, D. (2013). Adaption of the TSRQ for Financial Behavior. In K. Beck & O. Zlatkin-Troitschanskaia (Hrsg.), From Diagnostics to Learning Success. Proceedings in Vocational Education and Training. Rotterdam, Boston, Taipei: Sense Publishers. S. 213 – 224.
Barry, D., Bender, N. & Breuer, K. (2012). Young Adults’ Management of Money: Is Knowledge Enough for this Challenge? – Paper präsentiert im Rahmen eines Roundtable-Vortrags bei der Jahrestagung 2012 der American Educational Research Association (AERA) “Non Satis Scire – To Know Is Not Enough”, Datum/Ort: 14.04.2012 in Vancouver/Kanada.
Barry, D. & Breuer, K. (2012). Die Einstellung zu Geld bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen – Entwicklung eines Instruments in deutscher Sprache. In Forschungscluster „Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke“ (Hrsg.), Gesellschaftliche Teilhabe trotz Schulden? Perspektiven interdisziplinären Wissenstransfers. Wiesbaden: Springer VS. S. 9 – 25.
Bender, N. (2012). Selbstreguliertes Geldmanagement bei jungen Erwachsenen. Frankfurt: Peter Lang.
Bender, N. & Breuer, K. (2011). Junge Menschen und frühe Schulden – Finanzielle Handlungskompetenz im Fokus wirtschaftspädagogischer Forschung. In C. Hergenröder (Hrsg.), Krisen und Schulden, Tagungsband des Symposiums des interdisziplinären Arbeitskreises Armut und Schulden in Mainz, S. 45-62. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Bender, N. (2011). Die Abbildung vernetzten Wissens zur privaten Ver- und Überschuldung mit Concept Maps. In U. Faßhauer, J. Aff, B. Fürstenau & E. Wuttke (Hrsg.), Lehr-Lernforschung und Professionalisierung, Tagungsband der Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften (DGfE), S. 99-110. Opladen & Farmington Hills: Barbara Budrich.
Bender, N. & Rau, M. (2010). Die finanzielle Handlungskompetenz von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Fokus der Exzellenzforschung. Zeitschrift Berufsbildung, Heft 123.
Bender, N. (2010). Netzwerken in der Wirtschaftspädagogik. In Exzellenzcluster der Universitäten Trier und Mainz (Hrsg.), Gläubiger, Schuldner, Arme. Netzwerke und die Rolle des Vertrauens. Wiesbaden: VS Verlag.
Bender, N. & Rau, M. (2010). Die finanzielle Handlungskompetenz von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Fokus der Exzellenzforschung. Zeitschrift berufsbildung. Eusl-Verlag.
Bender, N. (eingereicht). Abbildung strukturellen Wissens zur privaten Ver- und Überschuldung mit Hilfe von Concept Maps. Tagungsband der Sektion BWP.
Bender, N. (2009). Armut und Schulden als Gegenstand wirtschaftspädagogischer Forschung. In E. Wuttke, H. Ebner, B. Fürstenau & R. Tenberg (Hrsg.). Erträge und Perspektiven berufs- und wirtschaftspädagogischer Forschung. Schriftenreihe der Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften (DGfE). Opladen: Barbara Budrich.
Breuer, K. & Bender, N. (2009). Verhaltensrelevante Einflussfaktoren auf die finanzielle Handlungskompetenz. Zeitschrift für Verbraucher- und Privatinsolvenzrecht, 8 (Sonderheft), S.8-12. Köln: RWS-Verlag.
Bock, M. et al. (2007). Verschuldung und Zahlungsunfähigkeit von Privatpersonen als Gegenstand interdisziplinärer Forschung. Zeitschrift für Verbraucher- und Privatinsolvenzrecht, 10 (6), S. 8-12. Köln: RWS-Verlag