Projektbeschreibung
Im Zuge der sozioökonomischen Transformationen während der 70er und 80er Jahre haben Führungskräfte eine immer wichtigere Rolle im Hinblick auf Bestand, Erhalt und Effizienz der Organisation von Unternehmen erhalten. Die seit der zweiten Hälfte der 60er Jahre anhaltenden Reorganisationen von Großunternehmen, die nicht selten verbunden waren mit internationalen Fusionen, lösten traditionelle Unternehmensstrukturen zugunsten einer bereichs- und sachbezogenen Dezentralisierung (Divisionalisierung, ProfitCenter) zunehmend ab. Diese Reorganisationen stellten nicht allein eine Antwort auf intensivierte „Globalisierungs-Effekte“ dar, sondern beschleunigten als Ergebnis ökonomischer Entwicklungsdynamiken in Verbindung mit unternehmenspolitischen Entscheidungen diese auch selbst. So versuchten Unternehmen die Neustrukturierungen ihrer Organisation ganz gezielt auszugestalten: Seit dem Beginn der 70er Jahre etablierten sie in neuem Ausmaß auf firmeneigene Führungskräfte zugeschnittene humanwissenschaftlich gestützte personalpolitische Maßnahmen. Diese zielten vor allem darauf ab, die Führungskräfte mit möglichst einheitlichen und auf die dezentrale, flexible Organisation ausgerichteten Handlungsorientierungen auszustatten. Unternehmen versuchten mit diesen Maßnahmen, ihr Leitungspersonal „im Geiste“ zu vernetzen, damit es unabhängig von Ort und Raum international und jederzeit „vorbildlich“ einsetzbar sei und zugleich in der Lage, das netzwerkartig agierende Unternehmen zu steuern. Bis in die Gegenwart spielt diese Form der Vernetzung von Führungskräften in multinationalen Unternehmen eine zentrale Rolle.
Die Untersuchung dieser personalpolitischen Maßnahmen als Vernetzungsinstrumente stellt einen analytischen Zugang dar, mit dem in diesem Projekt eine Annäherung an das „Unternehmen als Netzwerk“ versucht wird. Diese grundlegende Annahme korrespondiert mit Befunden der neueren französischen Soziologie, die für den betreffenden Zeitraum einen Wandel vom „zentralisierten, integrierten Großkonzern“ zum „schlanken und atmenden Unternehmen“ konstatiert hat. Anhand von Fallstudien ausgesuchter Großunternehmen wird die praktische Realisierung der neuen personalpolitischen Maßnahmen rekonstruiert und differenzierend verglichen, um so einen zentralen Bereich der Neufiguration unternehmerisch gestalteter, grenzüberschreitender Wirtschaftsräume auszuleuchten. Darüber hinaus wird dieser unternehmensbezogene Ansatz ergänzt um eine Analyse der überbetrieblichen Management-Beratungsliteratur. Dazu wird der wirtschaftsrelevante Teil des Verlags-Programm des einschlägigen Econ-Verlags computergestützt qualitativ und quantitativ untersucht.
Team
Projektleitung: Prof. Dr. Lutz Raphael
Wiss. Mitarbeiterin: Ruth Rosenberger
Stud. Hilfskraft: Sabine Buschmann
Veranstaltungen
Tagung
Ein neuer Geist des Kapitalismus? — Formen, Sprache und Praktiken in Netzwerken von Unternehmen seit den 70er Jahren
Eine Veranstaltung des Projekts III.06 in Kooperation mit
„Arbeitskreis für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte e.V.“
und mit Unterstützung der
Friedrich Ebert-Stiftung
im Karl-Marx-Studienzentrum, Trier, am 29./30.09.06
Das Programm
Freitag, 29.09.06
Einführendes und Grundlegendes
10.00 Uhr Begrüßung
10.15 Uhr Ruth Rosenberger/Morten Reitmayer, Trier: Einführung
11.00 Uhr Paul Windolf, Berlin/Trier: Unternehmensverflechtung im organisierten Kapitalismus. Deutschland und USA im Vergleich (1896-1938)
12.00 Uhr Paul Erker, München: Reinvention und Renewal: Zum Stand der Forschung über Anpassungskrisen von Unternehmen seit den 70er Jahren
13.00 Uhr Mittagspause
Wissensformen, Semantiken, Diskurse
Chair: Lutz Raphael
14.00 Uhr Susanne Draheim, Berlin: Der Entrepreneur als Chiffre. Zur Genese der entgrenzten Unternehmerfigur
15.00 Uhr Laurent Commaille, Metz: Das Ende des „französischen Modells? Die Unternehmen der traditionellen Sektoren Ende des XX. Jahrhunderts am Beispiel der Eisen- und Stahlindustrie
16.00 Uhr Kaffeepause
Akteure, Konflikte, Prozesse
16.30 Uhr Werner Bührer, München: Hanns Martin Schleyer und die „Erneuerung“ des BDI in den 70er Jahren
17.30 Uhr Verleihung des 4. AKKU-Nachwuchspreises
17.45 Uhr Jahreshauptversammlung des Arbeitskreis für kritische Unternehmensgeschichte e.V.
18.30 Uhr Besichtigung des Karl-Marx-Hauses
20.00 Uhr gemeinsames Essen
Samstag, 30.09.06
„Automobilgipfel“
Chair: Christian Kleinschmidt
9.00 Uhr Manfred Grieger, Wolfsburg: Produktinnovation und Mitbestimmungsmodernisierung. Die Übergangskrise bei Volkswagen zu Beginn des Golf-Zeitalters
9.25 Uhr Stefanie Tilly, Bochum: „Die schöne Ruhe ist dahin“ – Automobilwirtschaft und Rolle des Automobilverbands in den 70ern
9.55 Uhr Ingo Köhler, Göttingen: Krisenperzeption und Modernisierungsdebatten – Marketing-Management im fachwissenschaftlichen Diskurs und in der unternehmerischen Praxis der Automobilindustrie der 70er Jahre
10.20 Uhr Diskussion
11.00 Uhr Kaffeepause
Organisationsstrukturen
Chair: Gabriele Lingelbach
11.15 Uhr Marius Herzog, Berlin: Ein neuer Geist im Unternehmen? Der Paradigmenwechsel der Linde AG von 1970-1985
12.15 Uhr Timo Leimbach, München: Does IT matter? Netzwerke zwischen Anbietern und betrieblichen Nutzern von Software am Beispiel der IT-Beratungsgesellschaften
13.15 Uhr Abschlussdiskussion
Ende 14.00 Uhr