X.I.11: Psychische und psychosomatische Störungen bei Schuldnern : Erkennung, Behandlungsbedarf und Behandlungsmodelle

Pro­jekt­be­schrei­bung

Lei­tung: Univ.-Prof. Prof. Dr. med. Man­fred E. Beu­tel, Mainz
Mit­ar­bei­ter: Dipl.-Psych. Ste­fa­nie Wag­ner, Mainz

In Deutsch­land stel­len psy­chi­sche Stö­run­gen die Haupt­ur­sa­che für Früh­be­ren­tun­gen dar und ver­ur­sa­chen einen wach­sen­den An­teil von Krank­schrei­bun­gen. Wie auch die Daten des aktuellen Kin­der­ge­sund­heits­sur­veys 2006 be­stä­ti­gen, zählt so­zia­le Be­nach­tei­li­gung zu den Haupt­ri­si­ko­fak­to­ren für psy­chi­sche und psy­cho­so­ma­ti­sche Erkran­kun­gen (http://​www.​rki.​de/​). In epi­de­mio­lo­gi­schen Stu­di­en mit Er­wach­se­nen (z.B. Beu­tel et al. 2004) war Ar­beits­lo­sig­keit durch­gän­gig ein Prä­dik­tor für psy­chi­sche Be­schwer­den. In Ka­tam­ne­se­stu­di­en zum Er­folg psy­cho­so­ma­ti­scher sta­tio­nä­rer The­ra­pie konn­ten wir zei­gen, dass die lang­fris­ti­ge Sta­bi­li­tät der Er­geb­nis­se we­sent­lich von der be­ruf­li­chen Wie­der­ein­glie­de­rung ab­hing. Um­ge­kehrt fan­den die Stu­di­en von Müns­ter und Let­zel im Ex­zel­lenz­clus­ter Pro­jek­tes I.09 „Netz­wer­ke der Ge­sund­heitsprä­ven­ti­on bei Schul­den und Armut“ ein hohes Maß an psy­chi­schen Be­las­tun­gen unter den In­an­spruch­neh­mern einer Schuld­ner­be­ra­tungs­stel­le. Trotz kli­ni­scher Hin­wei­se auf die Zu­nah­me von Schul­den­pro­ble­ma­tik bei Pa­ti­en­ten in psy­cho­so­ma­ti­scher Be­hand­lung feh­len bis­lang sys­te­ma­ti­sche Stu­di­en zum Zu­sam­men­hang zwi­schen Schul­den und psy­chi­schen bzw. psy­cho­so­ma­ti­schen Krank­heits­bil­dern. Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass psy­chi­sche und psy­cho­so­ma­ti­sche Stö­run­gen Schul­den und Armut be­güns­ti­gen (über län­ge­re Krank­schrei­bung, Ar­beits­platz­ver­lust, Früh­be­ren­tung sowie so­zia­le An­pas­sungs­pro­ble­me); um­ge­kehrt be­ein­flus­sen Schul­den und Armut die psy­chi­sche Ent­wick­lung ne­ga­tiv, ver­mut­lich auch die In­an­spruch­nah­me psy­cho­the­ra­peu­ti­scher und psych­ia­tri­scher Be­hand­lungs­an­ge­bo­te.

Ar­beits­stand

Das Pro­jekt von Herrn Prof. Dr. Beu­tel soll im För­der­zeit­raum 2008/2009 erst­ma­lig im Clus­ter ver­tre­ten sein. Daher ist der­zei­tig vor­ge­se­hen, dass das Pro­jekt le­dig­lich im Rah­men einer An­schub­fi­nan­zie­rung ge­för­dert wer­den soll.

Per­spek­ti­ven

In enger Ko­ope­ra­ti­on mit dem Pro­jekt I.09 Müns­ter/Let­zel sol­len fol­gen­de Fra­ges­tellun­gen be­ar­bei­tet wer­den:

  1. Scree­ning für psy­chi­sche und psy­cho­so­ma­ti­sche Stö­run­gen mit stan­dar­di­sier­ten self-re­port Ver­fah­ren bei den In­an­spruch­neh­mern der Schuld­ner­be­ra­tungEs wird ein sys­te­ma­ti­sches Test­ver­fah­ren ent­wi­ckelt, das bei über­schul­de­ten Pri­vat­per­so­nen psy­chi­sche und psy­cho­so­ma­ti­sche Stö­run­gen iden­ti­fi­ziert. Hier­zu wird in Ko­ope­ra­ti­on mit dem Pro­jekt Let­zel/Müns­ter und mit Un­ter­stüt­zung durch die Er­fah­run­gen u. a. aus den Pro­jek­ten Bock, Her­gen­rö­der, Schwep­pe, Schön­hu­th, Breu­er ein kur­zer Scree­ning-Bo­gen ent­wi­ckelt, der in den Schuld­ner- und In­sol­venz­be­ra­tungs­stel­len von Rhein­land-Pfalz ein­ge­setzt wer­den soll. Ziel ist es, ein hand­hab­ba­res In­stru­ment zu er­stel­len, wel­ches den Schuld­ner­be­ra­tern er­mög­licht, Kli­en­ten mit psy­chi­schen und psy­cho­so­ma­ti­schen Stö­run­gen schnell und ein­fach zu de­tek­tie­ren und die­sen eine The­ra­pie zu er­mög­li­chen. Somit könn­ten zu­künf­tig die Schuld­ner­be­ra­tungs­stel­len ent­las­tet wer­den und deren Ar­beit an Wir­kung ge­win­nen.
  2. Ein­ge­hen­de kli­ni­sche dia­gnos­ti­sche Un­ter­su­chung (Struk­tu­rier­tes Kli­ni­sches In­ter­view, LI­FE-In­ter­view nach DSM-IV)Das Scree­ning-Ver­fah­ren wird durch eine ein­ge­hen­de kli­ni­sche dia­gnos­ti­sche Un­ter­su­chung eva­lu­iert. Hier­bei wer­den zu­sätz­lich die ver­schie­de­nen Aus­prä­gun­gen der psy­chi­schen und psy­cho­so­ma­ti­schen Stö­run­gen sowie po­ten­ti­el­le Ein­fluss­fak­to­ren (z.B. so­zia­le Netz­wer­ke, so­zia­le Un­ter­stüt­zung) er­fasst. Ri­si­ko­pro­fi­le wer­den er­ar­bei­tet und das Scree­ning-Ver­fah­ren op­ti­miert. Die­ser Ar­beits­schritt wird durch­ge­führt, indem die Kli­en­ten der Schuld­ner­be­ra­tungs­stel­len in Rhein­land-Pfalz mit­tels des zu ent­wi­ckeln­den kur­zen Scree­ning-Bo­gens auf Sym­pto­me von psy­chi­schen und psy­cho­so­ma­ti­schen Stö­run­gen un­ter­sucht wer­den. So­fern ein Kli­ent bei die­sem Scree­ning-Ver­fah­ren auf­fäl­lig ist, wird ihm das An­ge­bot ge­macht, in der Kli­nik und Po­li­kli­nik für Psy­cho­so­ma­ti­sche Me­di­zin und Psy­cho­the­ra­pie der Jo­han­nes Gu­ten­berg-Uni­ver­si­tät Mainz eine aus­führ­li­che Dia­gnos­tik und ggf. The­ra­pie zu er­hal­ten.
  3. Er­mitt­lung des Be­hand­lungs­be­darfsAuf­grund der vorab be­schrie­be­nen Ar­beits­schrit­te 1. und 2. wird es mög­lich sein, zum einen den Be­hand­lungs­be­darf für psy­chi­sche und psy­cho­so­ma­ti­sche Stö­run­gen bei über­schul­de­ten Pri­vat­per­so­nen und die In­an­spruch­nah­me schät­zen zu kön­nen.
  4. Ent­wick­lung spe­zi­fi­scher grup­pen­be­zo­ge­ner In­ter­ven­ti­ons­an­sät­zeMit Hilfe der be­reits eru­ier­ten Er­kennt­nis aus dem durch­ge­führ­ten Pro­jekt I.09 Let­zel/Müns­ter kön­nen grup­pen­be­zo­ge­nen In­ter­ven­ti­ons­an­sät­ze für psy­chi­sche und psy­cho­so­ma­ti­sche Stö­run­gen ent­wi­ckelt wer­den. Diese wer­den einer Mo­di­fi­zie­rung un­ter­zo­gen, die auf Er­kennt­nis­ba­sis der Ar­beits­schrit­te 1-3 durch­ge­führt wer­den. Es ist wich­tig, die In­ter­ven­ti­ons­an­sät­ze spe­zi­fisch auf das Sym­ptom- und Ri­si­ko­pro­fil der über­schul­de­ten Pri­vat­per­so­nen aus­zu­rich­ten.

Wir gehen davon aus, dass sich unter den In­an­spruch­neh­mern der Schuld­ner­be­ra­tung ein er­heb­li­cher Teil von Men­schen mit bis­lang un­er­kann­ter psy­chi­schen und psy­cho­so­ma­ti­schen Krank­hei­ten be­fin­det. Wir gehen fer­ner davon aus, dass viele die­ser Men­schen auf­grund ihrer Ver­schul­dung die ver­füg­ba­ren psy­cho­so­ma­tisch-psy­cho­the­ra­peu­ti­schen und psych­ia­tri­schen Be­hand­lungs­an­ge­bo­te nicht ge­nutzt haben (z.B. Zu­zah­lung) bzw. die Schul­den­pro­ble­ma­tik in Be­hand­lun­gen aus Scham nicht an­ge­spro­chen haben. Fer­ner ver­mu­ten wir, dass Men­schen mit gra­vie­ren­den psy­chi­schen und psy­cho­so­ma­ti­schen Pro­ble­men die an­ge­bo­te­ne Schuld­ner­be­ra­tung nicht hin­rei­chend nut­zen kön­nen, da bei ihnen an­de­re Sor­gen und Ängs­te (z.B. so­zia­le Pho­bie) im Vor­der­grund ste­hen. Daher soll der An­teil psy­chi­scher und psy­cho­so­ma­ti­scher Stö­run­gen dif­fe­ren­ziert er­ho­ben wer­den. Es soll be­stimmt wer­den, wie die bis­he­ri­ge In­an­spruch­nah­me von me­di­zi­nisch–psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Be­hand­lungs­an­ge­bo­ten statt­fand, wel­che Bar­rie­ren ggf. be­stan­den, wie Über­schul­dung dort the­ma­ti­siert wurde und ob bzw. wel­cher spe­zi­fi­sche Be­hand­lungs­be­darf be­steht.

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