Projektbeschreibung
Projektleiter: Prof. Dr. Peter O. Mülbert
Wiss. Mitarbeiter: Ass. jur. Marcus Zahn
Die Verbraucherverschuldung nimmt international, in der EU und auch in Deutschland immer mehr zu. Die daraus resultierende Überschuldung privater Haushalte stellt ein akutes gesellschaftliches Problem dar. Kreditinstituten wird in diesem Zusammenhang oft vorgeworfen, dass sie durch unverantwortliche Kreditvergabe Personen in die Überschuldung treiben. Im Jahre 2002 beabsichtigte die Europäische Kommission in Art. 9 ihres Entwurfs für eine neue Verbraucherkreditrichtlinie, eine Regelung verantwortungsvoller Kreditvergabe in der EU einzuführen. Angelehnt an in anderen europäischen Staaten – insbesondere in der Schweiz – bereits existierende gesetzliche Regelungen bedeutet verantwortungsvolle Kreditvergabe nach dem Kommissionsentwurf, dass Kreditinstitute verpflichtet sind, die Bonität der Verbraucher vor einer Kreditvergabe sorgfältig zu prüfen und zu bewerten, um eine spätere Überschuldung der Verbraucher präventiv zu verhindern. Hält ein Kreditinstitut sich nicht an diese Vorgaben, hat es einschneidende Sanktionen zu befürchten. Der Hintergrund ist, dass die von Kreditinstituten bereits im Eigeninteresse durchgeführte Bonitätsprüfung nicht als ausreichend erachtet wird. Ein legislatives Konzept verantwortliche Kreditvergabe ist rechtlich jedoch nicht unproblematisch und konnte sich in der Vergangenheit in Deutschland nicht durchsetzen. Angesichts der Erfahrungen der durch unverantwortliche Kreditvergaben ausgelösten Finanzkrise bedarf es heutzutage allerdings einer grundlegenden Neubewertung des Konzepts.
Die Methoden der Sozialen Netzwerkanalyse helfen bei der rechtswissenschaftlichen Bearbeitung der vorliegenden Thematik. So können Kreditvergaben nicht singulär betrachtet werden. Neben dem jeweiligen Gläubiger bzw. Schuldner treten vielmehr weitere Akteure hinzu, was dazu führte, dass sich auch in der Kreditwirtschaft und dem Bankensektor eine Vielzahl netzwerkartiger Strukturen ausgebildet hat. Welche Auswirkungen dies haben kann, zeigten jüngst die durch die Finanzkrise hervorgerufenen weltwirtschaftlichen Verwerfungen – ein klassisches Beispiel für bad networking. Ziel des Projekts ist es – soweit möglich, in empirischer Vorgehensweise – die rechtstatsächlichen Auswirkungen gesetzlicher Regelungen verantwortlicher Kreditvergabe zu untersuchen. Dabei ist eine gesetzliche Verpflichtung des Kreditgebers zu verantwortlicher Kreditvergabe auch für den Verbraucher nicht unproblematisch. Einerseits drohen entsprechende Regelungen das Recht des Verbrauchers auf eigenverantwortliches Handeln zu unterminieren, andererseits ergeben sich datenschutzrechtliche Probleme. Ferner wird befürchtet, dass Kredite teurer werden und bestimmte Verbrauchergruppen überhaupt keine Kredite mehr erhalten. Vor dem Hintergrund dieser Bedenken ist der Nutzen verantwortlicher Kreditvergabe fraglich: Können durch entsprechende gesetzliche Regelungen tatsächlich die Verbraucherüberschuldung reduziert und krisenhafte Entwicklungen in der Finanzwirtschaft verhindert werden?
Das Projekt wird in mehrere Teile gegliedert: Zunächst wird anhand des Kommissionsentwurfs von 2002 das Konzept verantwortlicher Kreditvergabe näher dargestellt und die daran geäußerten Kritikpunkte auf ihre Stichhaltigkeit untersucht. Anschließend wird das schweizerische Recht näher behandelt, welches schon seit Jahren Regelungen über eine verantwortliche Kreditvergabe kennt. Hierbei ist insbesondere die Frage von Interesse, ob die schweizerischen Regelungen tatsächlich zur Verschuldungsreduktion beitrugen. Weiterhin werden die grundrechtlichen und datenschutzrechtlichen Grenzen der Realisierbarkeit verantwortlicher Kreditvergabe behandelt. In dem darauf folgenden Arbeitsschritt wird schließlich die geltende deutsche Rechtslage behandelt, wobei insbesondere die durch die Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG veranlassten Änderungen von Interesse sind. Im Anschluss daran soll es schließlich möglich sein, einerseits das Prinzip verantwortlicher Kreditvergabe abschließend zu bewerten und andererseits eigene Lösungsansätze zur Bekämpfung der Verbraucherüberschuldung bzw. zur Verhinderung krisenhafter Ereignisse – wie sie in der Finanzkrise zu beobachten waren – zu entwickeln.
Arbeitsstand
Die Behandlung des Art. 9 des Kommissionsentwurfs von 2002 einschließlich der Auseinandersetzung mit den Kritikpunkten ist abgeschlossen. Gleiches gilt für die Untersuchung des schweizerischen Rechts. Ferner ist die Analyse der Finanzkrise weit fortgeschritten. Die datenschutzrechtlichen und grundrechtlichen Grenzen verantwortlicher Kreditvergabe wurden bereits behandelt, wobei zurzeit weitere relevante Publikationen zu diesen Themen gesichtet und eingearbeitet werden. Vorrangig werden derzeit allerdings die Änderungen der Rechtslage analysiert, welche das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG, das im Juli 2009 sowohl den Bundestag als auch den Bundesrat passierte, zur Folge hat.
(Stand Oktober 2009)
Team
Projektleiter:
Prof. Dr. Peter O. Mülbert
Mitarbeiter:
Ass. jur. Marcus Zahn