Herrschaftswechsel bestimmten die Gestalt europäischer Staaten und Territorien sowie die Lebensbedingungen der von ihnen betroffenen Menschen. Gegenseitige Fremdheitszuschreibungen der neuen Obrigkeiten und der neuen Untertanen verbanden Herrschaftswechsel mit Inklusions- und Exklusionsprozessen zur Wahrung und Durchsetzung jeweiliger Interessen. Das Teilprojekt arbeitet vergleichend europäisch und führt die Befunde mit Ergebnissen aus anderen Forschungskontexten einer umfassenden Synthese zu Herrschaftswechseln in Europa zu.
Projektleitung:
Prof. Dr. Helga Schnabel-Schüle
Fachgebiet: Neuere Geschichte (Frühe Neuzeit)
Projektbeschreibung
Ein Kennzeichen der europäischen Geschichte des 18. Jahrhunderts war der meist im Rahmen der internationalen Gleichgewichtspolitik betriebene „Länderschacher“. Bedeutsame Beispiele dafür sind die preußische Inbesitznahme Schlesiens, die Teilungen Polen-Litauens sowie die napoleonische „Territorialrevolution“ an der Wende zum 19. Jahrhundert. So kam es in den Jahren 1803 bis 1815 in Europa zu einer „Ereigniskette“ von Herrschaftswechseln, die zum Teil zur Etablierung neuer, stabiler Herrschaftsverhältnisse führten, zum Teil nur der Auftakt zu einer Phase instabiler, durch immer neue Herrschaftswechsel gekennzeichneter Verhältnisse waren.
Territoriale Veränderungen waren bisher vor allem Gegenstand der Geschichte des europäischen Staatensystems und der Diplomatiegeschichte. Im Zentrum der Forschungen dieses Teilprojekts steht dagegen die vergleichende sozialhistorische Analyse der mit den Herrschaftswechseln notwendig verbundenen massiven Eingriffe in die Sozialstruktur und in die Lebensverhältnisse der Bevölkerung in den geteilten oder verschobenen Ländern. Es geht um die Analyse von Interaktionen zwischen einander fremden Personen und Gruppen unter dem Aspekt von Inklusion und Exklusion beim Aufbau neuer Strukturen und Institutionen im Kontext des gleichzeitigen Wandels staatlicher Aufgaben.
Herrschaftswechsel veränderten in unterschiedlichen Ausmaßen und zeitlichen Konzentrationen die Gestalt der europäischen Staaten und Territorien und damit die Lebensbedingungen der von ihnen betroffenen Menschen. Das Teilprojekt untersucht Herrschaftswechsel in vergleichender europäischer Perspektive. Jene werden dabei als Vorgänge verstanden, bei denen sich je nach Zeit und Typik Gesellschaften und besonders deren Eliten in unterschiedlicher Weise mit fremden Herrschern und ihrem ?Personal? auseinanderzusetzen hatten. In diesem Zusammenhang kommt der gegenseitigen Zuschreibung von Fremdheit besondere Bedeutung zu. Diese spiegelt sich zum einen im Ausmaß und den Modi des Ausschlusses alter Eliten, aber auch weiter Kreise der Bevölkerung von angestammten – bzw. ihrer Zulassung zu völlig neuen – Rechten und Lebenschancen. Zum anderen betrafen Fremdheitszuschreibungen vor Ort die Vertreter der neuen Obrigkeit selbst und modifizierten die herrschaftliche Durchdringung des hinzugewonnenen Gebietes. Herrschaftswechsel generierten somit Inklusions- und Exklusionsvorgänge, in denen Fremdheit bestätigt, umgedeutet oder aufgelöst wurde. Da Herrschaftswechsel je nach zeitlichen und räumlichen Zusammenhängen typologisch variieren konnten, muss eine fundierte Untersuchung der europäischen Dimension Rechnung tragen. Parallel zu Herrschaftswechseln im Reich, die im Rahmen einer Dissertation untersucht wurden, wurde im Teilprojekt daher zunächst eine geographische Konzentration im ostmitteleuropäischen Raum vorgenommen und mit den Teilungen Polen-Litauens 1772, 1793 und 1795 ein Beispiel in den Blick genommen, das als Ausgangspunkt für die Auflösung der Staatenbeziehungen und Völkerrechtsordnung des alten feudalen Europa gilt. Dabei standen die Politikfelder Kirche, Militär und Administration sowie Recht im Mittelpunkt, da ihnen eine besondere Funktion bei der Vermittlung und der Durchsetzung des neuen Herrschaftsanspruches zukommen. Diese Fragestellung und Herangehensweise wurde auf die 1714 an die österreichischen Habsburger gefallenen und 1795 von Frankreich annektierten Südlichen Niederlande übertragen, wodurch ein Untersuchungsgegenstand im westlichen Europa in den Blick genommen wurde, der eigene zeitliche, räumliche und typologische Besonderheiten aufweist. Die Arbeit des Teilprojekts zielt darauf ab, in der abschließenden Förderphase die Untersuchungen zu den Südlichen Niederlanden abzuschließen und zusammen mit den Ergebnissen aus der ersten Förderphase sowie mit Ergebnissen aus anderen Forschungskontexten einer umfassende Synthese zu Herrschaftswechseln in Europa zuzuführen.
Team
Projektleiter
Prof. Dr. Helga Schnabel-Schüle
Ehemaliger zweiter Projektleiter
Prof. Dr. Andreas Gestrich, bis April 2007
Wissenschaftliche Mitarbeiter
Dr. Immo Meenken
Dr. Simon Karstens
Ehemalige Wissenschaftliche Mitarbeiter
Dr. Boris Olschewski
Dr. Bernard Schmitt
Dr. Hanna Sonkajärvi
Studentische Hilfskräfte
Eva Dillmann
Sabrina Heinz
Sascha Schmitz