Teilprojekt C 10: Politische Repräsentation von Armut in den politischen Parteien Deutschlands

Das Teilprojekt untersucht die Repräsentation von Armut in der Programmatik, Organisation und Kommunikation politischer Parteien der Bundesrepublik Deutschland. Die verschiedenen, für die Bundesrepublik politisch relevanten Fragestellungen und Aspekte der sozialwissenschaftlichen Armuts- und Exklusionsdiskurse werden dafür mit Hilfe des analytischen Instrumentariums der Parteienforschung zu einer Matrix armutspolitischer Konfliktlinien verdichtet. In den Repräsentationsmodi der politischen Parteien werden Armutsthematiken vornehmlich auf bundespolitischer Ebene von 1980 bis zur Gegenwart analysiert und ergänzend in Form einer aktuellen lokalen Fallstudie untersucht. 

Projektleitung:
Prof. Dr. Uwe Jun

Tagungsbericht zur Konferenz Armutspolitik im Parteienwettbewerb – alte Konfliktlinien und neue Kontroversen“ vom 17. bis 18. März 2010 in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin 

Projektlaufzeit: 2009-2012
Fachgebiet: Politikwissenschaft

Projektbeschreibung

Das Teilprojekt untersucht Armut aus der Perspektive der Parteienforschung. Diese Perspektive ist ein Desiderat der politikwissenschaftlichen Forschung, da keine Studie zu Armut in unmittelbaren Kontext von politischen Parteien vorliegt. Untersucht werden soll die Repräsentation von Armut durch die kollektiven Akteure der politischen Parteien, durch deren Programmatik, Organisation und mediale Darstellung.

Zu diesem Zweck sind die verschiedenen politisch relevanten Aspekte und Fragestellungen der sozialwissenschaftlichen Armutsforschung so in eine systematische Ordnung zu bringen, dass sie solche spezifischen Konfliktlinien bilden, die für die Parteienforschung zugänglich und von ihr mit ihren Mitteln untersucht werden können.

Das Projekt will auf drei Ebenen (programmatisch, organisationsstrukturell und kommunikativ) der Frage nachgehen, inwieweit sich politische Parteien des Themas Armut annehmen und die Interessen der von Armut betroffenen sozialen Gruppen repräsentieren. Als Zeitrahmen der Untersuchung ist die Spanne vom Beginn der 1980er Jahre bis hin zu aktuellen Entwicklungen anzusetzen.

Auf der programmatischen Ebene ist zu fragen, inwieweit das Thema Armut – außerhalb von immer wieder zu lesenden Absichtsbekundungen, Armut zu reduzieren – konkret noch auf der Agenda der politischen Parteien steht. Zu analysieren ist, ob und in welchem Ausmaß sich ein programmatisch ausgearbeitetes Konzept von Armutspolitik bei den einzelnen Parteien finden lässt.

Auf der organisationsstrukturellen Ebene ist zu untersuchen, welche Gruppen innerhalb der Parteien sich des Armutsthemas annehmen und auf welcher Informationsbasis dies geschieht. Auf einer dritten Ebene, der Kommunikation, soll untersucht werden, wie politische Parteien in ihrer medialen Kommunikation sich dem Thema Armut widmen und welche Strategien sie zur Darstellung der Armutsproblematik wählen.

Abschließend sollte deutlich hervorgehoben werden, dass das Teilprojekt auch der häufig proklamierten Problemstellung nachgehen wird, inwieweit sich die politischen Parteien von den von Armut betroffenen sozialen Gruppen entfernt haben und welche Gründe dafür auszumachen sind. Zur Untersuchung der Repräsentation von Armut in Parteien verbindet das Teilprojekt deshalb die differenzierten Konzeptualisierungen, Fragestellungen und Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Armutsforschung mit dem analytischen Instrumentarium der Parteienforschung. Aus deren Perspektive sollen Armutsthematiken in den Repräsentationsmodi Programmatik, Organisation und Kommunikation der politischen Parteien untersucht werden. Die Generalhypothese des Teilprojektes besteht darin, dass die verschiedenen Thematiken des Armutsdiskurses geradezu als Ferment wirken, um bestimmte historische Veränderungen des bundesdeutschen Parteiensystems in den letzten 30 Jahren sowie gegenwärtige Wandlungstendenzen verständlich machen zu können.

Team

Projektleiter
Prof. Dr. Uwe Jun 

Projektmitarbeiter
Dr. Lasse Cronqvist 
Isabelle Borucki, M.A. 
Daniel Reichard, M.A. 

Weitere beteiligte Wissenschaftler: 
Dr. Tilman Heisterhagen 
Timo Frankenhauser 
Simon Stratmann, M.A.

Studentische Hilfskräfte
Isabel Bähr 
Katharina Prohl

Publikationen

Die Projektveröffentlichungen werden in der zentralen Online-Bibliographie im Rahmen der SFB-Publikationsplattform sfb600-online nachgewiesen.

Veranstaltungen

Tagung Berlin

„Armutspolitik im Parteienwettbewerb – alte Konfliktlinien und neue Kontroversen“
vom 17. bis 18. März 2010 in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin 
Tagung des Projekts C10

SFB 600, Universität Trier Tagungsbericht des Projekts C10 

„Es muss mehr Verantwortung auf die Zivilgesellschaft übertragen werden“, lautete der Appell eines Teilnehmers, während eine andere Teilnehmerin entgegnete, dass sich der Staat unter keinen Umständen aus seiner Verantwortung für die Armen zurückziehen dürfe. Diese Positionen spiegeln die Vielfalt und gleichzeitig die Trennlinien in der Auseinandersetzung um angemessene Formen der Armutsbekämpfung und -verhinderung wider. Bei der zweitätigen Konferenz „Armutspolitik im Parteienwettbewerb – alte Konfliktlinien und neue Kontroversen“ diskutierten sowohl Armuts- und Parteienforscher als auch Praktiker aus den Parteien. Zentrale Themen waren die aktuellen politischen Diskussionen um den Mindestlohn, die Unterschichtendebatte, die Stigmatisierung von Hartz-IV-Empfängern sowie das bedingungslose Grundeinkommen als Alternative zur bestehenden Sozialgesetzgebung. 

Armut im Blick der Wissenschaft: Zu Beginn der Konferenz stellten die Mitarbeiter des politikwissenschaftlichen Teilprojektes C10 des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Sonderforschungsbereiches 600 ihre bisherige Arbeit vor. Projektleiter Prof. Dr. Uwe Jun und Dr. Tilman Heisterhagen erläuterten den theoretischen Hintergrund, der die politikwissenschaftliche Parteienforschung für die Konzepte der sozialwissenschaftlichen Armutsforschung öffnet. Sie stellten auch die Pilotstudie des Projekts vor, welche die Repräsentation von Armutsthematiken durch die deutschen Parteien im Zeitraum von 1980 bis heute untersucht. Timo Frankenhauser präsentierte den Projektteil, der die politische Kommunikation von Armutsthemen in Bundestagswahlkämpfen erforscht. Isabelle Roth, M. A. referierte zu Armutsnetzwerken der politischen Parteien auf lokaler Ebene in Trier und Jena. Dr. Winfried Süß (Universität Potsdam) gab aus historischer Perspektive Einblicke in den Begriff der „Neuen Armut“ insbesondere im Zusammenhang des Formwandels des armutspolitischen Feldes seit den 1970er Jahren. Professor Dr. Karl August Chassé, (FH Jena) verdeutlichte die Perspektiven der Sozialen Arbeit zur Repräsentation von Unterschichten in den Medien, der Öffentlichkeit und Politik. Die anschließende Diskussion drehte sich vor allem um das Vorhandensein bzw. die (mediale) Konstruktion einer homogenen Unterschicht und eine damit verbundene Stigmatisierung von Armen und Benachteiligten. 

Perspektiven der Parteien: Dr. Gero Neugebauer (FU Berlin) trug zu Beginn des zweiten Teils der Tagung seine Thesen zu Armut und Armutspolitik im aktuellen Parteienstreit und den Reaktionen der Parteien auf Prozesse des sozialen Wandels vor. Laut Neugebauer steige die Anzahl von Menschen, die in Armut leben, die Parteien hätten daraus aber noch nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen. Er stellte fest, dass es weiterhin eine Kontinuität der Konfliktlinien zwischen dem linken und dem liberal-konservativen Lager gebe. Daran schloss sich eine rege Diskussion zu Koalitionsoptionen der Parteien sowie zum flächendeckenden Mindestlohn an. Deutlich wurde dabei, dass sich der Parteienwettbewerb auch über armutsrelevante Themen aktualisiert. Gerald Weiß (CDU) eröffnete die Plattform für die Diskussion über verschiedene armutspolitische Ansätze mit Politikern aller Parteien. Er formulierte neun Thesen zum Fürsorgeverständnis, zu Subsidiarität, Grundsicherung und drohender Altersarmut aus Sicht der Union. Rolf Stöckel (SPD) konzentrierte sich vornehmlich auf die rot-grüne Regierungszeit und bezog seine Betrachtungen zur Armutspolitik auf die Reformen des Arbeitsmarktes. Dr. Katrin Mohr (Die Linke) stellte deren Notwendigkeit nicht grundsätzlich in Frage, hob in ihrem Beitrag jedoch die Bedeutung eines Grundeinkommens zur Armutsbekämpfung hervor. Dr. Thomas von Winter (Universität Potsdam) führte in Konzepte zur Repräsentation schwacher Interessen durch etablierte (Sozial-)Verbände ein. Er stellte hierzu ein eigenes theoretisches Konzept vor, anhand dessen er aufzeigte, wie Arme in die Gesellschaft inkludiert werden können. Dabei betonte er, dass armutspolitische Netzwerke generell sehr klein seien, die Wohlfahrtsverbände aber zur Bekämpfung von Armutslagen insbesondere in den Kommunen einen wichtigen Beitrag leisteten. Pascal Kober (FDP) stellte daraufhin die Armutspolitik seiner Partei vor und betonte wie bedeutsam Selbstbestimmung für die Betroffenen sei, die jedoch auch eine Aufforderung zum eigenverantwortlichen Handeln beinhalte. Der letzte Beitrag von Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) bezog sich auf das Grundeinkommen und war auch Thema der abschließenden Debatte. 

Armut wird deutlicher sichtbar: Trotz der sich teils erheblich unterscheidenden armutspolitischen Ansätze waren sich die Teilnehmer indes im Abschlussplenum in einem Punkt einig: Im 21. Jahrhundert steht die Armutspolitik vor großen Herausforderungen. Einerseits werden Abstiegserfahrungen häufiger, d.h. die Gesellschaft ist nach unten durchlässiger und die Angst vor sozialem Abstieg hat längst die Mittelschicht erreicht; andererseits tritt aber die heterogene Gruppe der Armen durch diese Entwicklung öffentlich deutlicher in Erscheinung – und damit zumindest mittelbar in den Fokus der Parteien. 

Isabelle Roth & Timo Frankenhauser 

Kategorie Allgemein