Teilprojekt A 7: Juden auf dem Lande zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit (15.–17. Jahrhundert): Inklusion und Exklusion durch Herrschaften und Gemeinden in ausgewählten Territorien Frankens

Das Teilprojekt untersucht am Beispiel der Juden in den Territorien und kleineren Herrschaften Frankens vom Beginn des 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts Modi von Inklusion und Exklusion angesichts religiöser Differenz, hohem Mobilitätsgrad und den damit verbundenen Fremdheitszuschreibungen in einer Region, die geprägt ist von einer besonders differenzierten Herrschaftsstruktur und Siedlungstypologie. Damit leistet es einen Beitrag zur Beantwortung noch ungeklärter Fragen zur Geschichte der Juden zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit. 

Projektleitung:
Prof. Dr. Sigrid Hirbodian

Projektlaufzeit: 2009-2012
Fachgebiet: Mittelalterliche Geschichte; Geschichte der Frühen Neuzeit

Projektbeschreibung

Die Forschungen zur Geschichte der Juden weisen an der Epochenschwelle von Spätmittelalter und Früher Neuzeit erhebliche Lücken auf. Nach den Vertreibungen des späten Mittelalters aus den meisten Städten und größeren Territorien siedelten sich Juden unter anderem in kleineren und kleinsten Herrschaften des ländlichen Reichsgebiets an. Etwa seit Mitte des 17. Jahrhunderts kam es dort zur Herausbildung neuer jüdischer Organisationsstrukturen, den sogenannten „Landjudenschaften“. Über die Entwicklungen und Veränderungen der Umbruchphase vom 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts herrscht sowohl hinsichtlich des christlich-jüdischen Zusammenlebens als auch der innerjüdischen Organisation noch weitgehend Unklarheit. Die Befunde des 18. Jahrhunderts zeigen, dass ein Zentrum solcher „Juden auf dem Lande“ in Franken lag, wo sie sich neben der traditionellen Geldleihe in der Sonderkultur der Weinwirtschaft und im Viehhandel betätigten. Als Schutzherr trat vornehmlich die fränkische Reichsritterschaft auf, die zur Wahrung ihres Status, v.a. gegenüber den Würzburger Fürstbischöfen, das Judenregal zu instrumentalisieren suchte. Deswegen ist trotz wiederholter Ausweisungen aus dem Hochstift Würzburg gegen Ende des 16. Jahrhunderts davon auszugehen, dass jüdische Siedlung in jener herrschaftlich stark zersplitterten und differenzierten Region weiterhin möglich war.

Das Teilprojekt widmet sich den christlich-jüdischen Kontakten auf der Ebene der Gemeinden, wo sich durch Grenzziehungen zwischen den Religionen bei gleichzeitiger ökonomischer Koexistenz bzw. gegenseitiger Abhängigkeit Exklusion und Inklusion überlappten. Im Mittelpunkt der Projektarbeit steht eine Dissertation, die sich mit dieser Fragestellung in zwei unterfränkischen Herrschaften mittlerer Größe befasst:
Die Grafschaft Castell betrieb nur selten eine aktive Judenpolitik. Vielmehr reagierten die Grafen dort häufig auf die Maßnahmen ihrer Lehnsleute und Mitdorfherren, und der Faktor Herrschaftszersplitterung wirkte sich vorteilhaft auf die jüdische Siedlung aus. So ist in dem Kondominatsort Rödelsee, der neben den Casteller Grafen unter vier weiteren Dorfherren aufgeteilt war, eine große Judengemeinde mit eigenem Friedhof entstanden. Diese konnte sich auch gegen den Widerstand Castells, der bis zum Reichskammergericht getragen wurde, behaupten.
Als weiteres Untersuchungsgebiet wird die Grafschaft (Löwenstein-)Wertheim in den Blick genommen. Seit dem frühen 13. Jahrhundert sind dort Juden nachweisbar; der jüdische Friedhof ist wahrscheinlich Anfang des 15. Jahrhunderts entstanden. Die Wertheimer betrieben eine eher aktive, judenfreundliche Politik, agierten unter den Ständen als Fürsprecher der Juden und führten, soweit nachvollziehbar, keine vollständige Ausweisung durch. Nach dem Aussterben der Grafen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts führten Erbteilungen zur Entstehung zweier unterschiedlicher Linien, die der katholischen bzw. lutherischen Konfession angehörten.
Die Untersuchung der teilweise katholischen Grafschaft Wertheim und der protestantischen Grafschaft Castell, die beide in Abhängigkeit zum Würzburger Bischof, einem der Führer der Gegenreformation, standen, spricht gleichzeitig das Forschungsfeld der „Konfessionalisierung“ an, das in seinen Konsequenzen für die Juden noch nicht hinreichend analysiert worden ist.

Eingebettet werden die Ergebnisse dieser Dissertation in die regionalen fränkischen Strukturen und Zusammenhänge, die sich aus der Aufarbeitung von Siedlungsbefunden und Kulteinrichtungen in einer Datenbank und in kartographischer Form ergeben. Detailanalysen zu Fragen des jüdischen Viehhandels sowie zur Territorialisierung der jüdischen Regionalorganisation ergänzen diese Arbeiten. Eine Dissertation zur Geschichte der Juden in der Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber sowie eine bereits abgeschlossene Dissertation zum Hochstift Bamberg komplettieren das Bild der „jüdischen Region“ Franken.

Team

Projektleiterin
Prof. Dr. Sigrid Hirbodian 

Projektmitarbeiter
Torben Stretz, M.A.
Andreas Weber, M.A.

Studentische Hilfskräfte
Simon Liening
Philip Sesterhenn 
Arne Nold

Ehemalige Mitarbeiter
Dr. Kathrin Geldermans-Jörg
Claudia Steffes-Maus

Publikationen

Die Projektveröffentlichungen werden in der zentralen Online-Bibliographie im Rahmen der SFB-Publikationsplattform sfb600-online nachgewiesen.

Veranstaltungen

Abschlusskonferenz

Juden und ländliche Gesellschaft in Europa zwischen Mittelalter und früher Neuzeit (15.-17. Jahrhundert)

Kontinuität und Krise, Inklusion und Exklusion in einer Zeit des Übergangs

 

Datum: 19.-21. März 2012

Tagungsraum: C 22, Universität Trier
Tagungsbüro: C 1
Tagungsprogramm: Tagungsapparat

Kategorie Allgemein