Teilprojekt B 7: Armenfürsorge und katholische Identität: Armut und Arme im katholischen Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts

Ziel des Projektes ist, neben der Analyse des katholischen Armutsdiskurses die Beteiligung katholischer Initiativen an Inklusions- bzw. Exklusionsprozessen in der Armenfürsorge zwischen 1803 und 1870 zu untersuchen, und die Wirksamkeit der im Armutsdiskurs entwickelten religiösen Sinnkonstruktionen in der Praxis der Armenfürsorge zu überprüfen. Eine neue Teiluntersuchung vergleicht dazu den Saarraum mit dem südlichen Großherzogtum Baden. 

Projektleiter:
Prof. Dr. Bernhard Schneider

Projektlaufzeit: 2005-2012
Fachgebiet: Neuere Kirchengeschichte

Projektbeschreibung

1. Inhaltliche Beschreibung
Zur Untersuchung der katholischen Armenfürsorge im frühen 19. Jahrhundert setzt sich das kirchengeschichtliche Teilprojekt B7 zwei Schwerpunkte.

1) Den ersten Schwerpunkt des Projekts bildet die Untersuchung des katholischen Armutsdiskurses in Deutschland und dessen Beitrag zur Konstruktion einer katholischen Identität im Zeitraum zwischen Säkularisation und Jahrhundertmitte. Damit rücken katholische Armuts- und Armenfürsorgetheorie(n), die Verkündigung zu Themen der Caritas und die Verarbeitung des Armutsproblems in der aufblühenden katholischen Presse in den Blickpunkt. Für die Selbstthematisierung des deutschen Katholizismus in seiner Konstituierungsphase war das Armutsproblem angesichts der traditionsreichen Rolle kirchlicher Institutionen und Gruppen in diesem Feld wie der langen theologischen Überlieferung von erheblicher Relevanz. Zudem entstanden mit den letzten klassischen Subsistenzkrisen und dem sich dramatisch verschärfenden Pauperismus aktuelle Problemlagen, welche die kirchlich-religiöse Deutungskompetenz herausforderten. Damit war das karitative Handeln von Katholiken und katholischen Gruppen inhaltlich neu zu bestimmen und insbesondere zu klären, wer in dieses karitative Handeln einzubeziehen sei und welcher Status welchen Gruppen von Armen in der Gesellschaft wie im kirchlichen Gemeinwesen zukomme. In der Semantik von Armut spiegeln sich diese Inklusions- und Exklusionsvorgänge in spannungsreichen Attributionen. Der katholische Armutsdiskurs war in umfassendere Kontexte und Diskurse eingebunden. Er war mit kommunaler und staatlicher Armenpolitik und deren expandierender Zuständigkeit ebenso konfrontiert wie mit Vorbehalten gegen katholische Armenfürsorge und einer ökonomisierten Neudefinition von Armut. Untersucht werden muss auch die Verankerung des neu entstandenen Armutsdiskurses in der konfessionellen Polarisierung, welche die Identitätsbildung durch Abgrenzung und Auseinandersetzung mit Fremdzuschreibungen (z.B. gute Werke; Almosen) beeinflusste. Darüber hinaus ist die Relevanz innerkatholischer Richtungskämpfe (Aufklärer vs. Ultramontane) zu eruieren, die abweichende Konzepte der Armenfürsorge implizieren konnten.

2) Wir gehen davon aus, dass die von uns untersuchten Diskurse auf die Armenfürsorge im täglichen Leben verweisen und die Armenfürsorgepraxis beeinflussen wollen. Einen zweiten Schwerpunkt stellt daher die Untersuchung der Armenfürsorgepraxis auf lokaler Ebene dar. Ziel ist es, die Beteiligung katholischer Initiativen an Inklusions- bzw. Exklusionprozessen in der Armenfürsorge zwischen 1803 und 1870 zu untersuchen und die Wirksamkeit der im Armutsdiskurs entwickelten religiösen Sinnkonstruktionen zu überprüfen. Wir untersuchen, wie die Pfarrer, Ordensschwestern und in der Caritas engagierten Laien an den Entscheidungen über Armenhilfe oder deren Verweigerung beteiligt waren, nach welchen Kriterien sie die Armen in die Armenfürsorge aufnahmen, welche Methoden der Hilfe sie praktizierten und ob sie dabei auch spezifischen religiösen Leitideen folgten. Eine neue Teiluntersuchung vergleicht hierzu als historische Regionalstudie den Saarraum innerhalb der preußischen Rheinprovinz mit dem südlichen Großherzogtum Baden.

2. Methode und Quellen
Der erste Schwerpunkt des Teilprojekts B 7 wird methodisch durchgeführt als erweiterte Diskursanalyse unter Einbeziehung der historische Semantik einerseits und die Stereotypenforschung andererseits. Während eine Teiluntersuchung den liturgisch-paränetischen Armutsdiskurs in Verkündigungstexten (Predigten/ Hirtenbriefe) rekonstruiert, widmet sich eine zweite Studie dem politisch-kirchenpolitischen Armutsdiskurs der Zeitschriften. Über die verschiedenen Quellengruppen lässt sich die Interpretationsgemeinschaft der als Multiplikatoren breitenwirksamen und innerkirchlich dominierenden Gruppe rekonstruieren und inhaltlich näher bestimmen. In begrenztem Umfang werden deutsche protestantische publizistische Quellen als Kontrollgruppe ausgewertet, um die Wahrnehmungsmuster im deutschen Katholizismus mit diesen vergleichen zu können.
Dieser methodische Zugang ist im zweiten Schwerpunkt durch die Rekonstruktion der praktischen Initiativen der Armenfürsorge wie der Bemühungen um eine Zusammenarbeit von Kirche und Staat zu ergänzen, die beide auf der Basis des Aktenmaterials kirchlicher und staatlicher Archive zu leisten ist. Auch bei der Auswertung des Aktenmaterials ist den Konstruktionen von Identität, der Semantik von Armut und den Modi von Inklusion und Exklusion Rechnung zu tragen.

Team

Projektleiter:
Prof. Dr. Bernhard Schneider

Wissenschaftliche(r) Mitarbeiter(in):
Dipl. Theol. Ingmar Franz 
Dipl. Theol. Michaela Maurer
lic. phil., lic. theol. Patrick Bircher (bis Februar 2007) 

Studentische Hilfskräfte:
Raphael Collinet 
Thomas Neiß
Yvonne Uebel
Tobias Weyand 

Weitere beteiligte Wissenschaftlerinnen:
Dipl. Theol. Christian Schröder 
Dr. Antje Bräcker (bis Februar 2008)

Publikationen

Die Projektveröffentlichungen werden in der zentralen Online-Bibliographie im Rahmen der SFB-Publikationsplattform sfb600-online nachgewiesen.

Veranstaltungen

Tagung des Teilprojekts B 7: 

«Der edle Wettkampf der Barmherzigkeit»: Konfessionen in den nord-, west- und mitteleuropäischen Sozialsystemen im langen 19. Jahrhundert. Trier 29.6. – 2.7.2011

Kategorie Allgemein