Das Teilprojekt untersucht historische Semantiken der Inklusion und Exklusion von Armut in Projektionsaufführungen um 1900. Die Forschungsergebnisse zeigen wie sie in narrativen visuellen Gestaltungsformen performativ konstituiert wurden, über innovative Vertriebsformen wohltätiger Organisationen ein Millionenpublikum erreichten und so gesellschaftlich relevant wurden. Die Teiluntersuchungen zu Ästhetik und Verbreitung fiktionaler britischer Glasbilderserien werden in der letzten Förderperiode ergänzt um die Analyse von sozialdokumentarischen Fotografien im Medieneinsatz der Sozialen Museen sowie von Armutsrepräsentationen im frühen Kino.
Projektleiter:
Prof. Dr. Martin Loiperdinger
Projektlaufzeit: 2005-6/2009
Fachgebiet: Medienwissenschaft – Visuelle Medien
Das Teilprojekt endete am 30.06.2009.
Die Forschungsarbeiten werden weitergeführt im Kontext des DFG-Projektes „Mediale Praktiken und soziale Frage im Etablierungsprozess neuer Projektionsmedien um 1900“.
Projektbeschreibung
Das interdisziplinär angelegte Projekt untersucht Lichtbilder aus dem Motivkreis Armut und ihren Einsatz bei Projektionsvorstellungen in der britischen und deutschen Armenfürsorge um 1900.
Einflussreiche britische Wohltätigkeitsorganisationen nutzten die Projektionskunst, ein wichtiges visuelles Medium der zeitgenössischen Populärkultur, im Rahmen der Armenfürsorge. Sie veranstalteten zahlreiche Projektionsvorstellungen von Lichtbilderserien, um entweder in erzieherischer Absicht arme Zuschauerkreise oder zum Zweck der Spendensammlung wohlhabende Publika anzusprechen. Zentrales Anliegen der Aufführungen war die Linderung der Not der Armen durch vorbeugende Aufklärungsmaßnahmen, z. B. den pädagogischen Einsatz von Lichtbilderserien gegen Alkoholmissbrauch, der unter Armen in den industriellen Ballungszentren weit verbreitet war. In den zumeist kostenlosen Veranstaltungen wurden pädagogische Bilderserien zur Vermittlung erwünschter sozialer Haltungen üblicherweise eingebettet in unterhaltsame visuelle und auditive Darbietungen.
Auf dieser medialen Ebene der Armenfürsorge geht es im Unterschied zu sozialen Hilfsmaßnahmen um symbolisch geregelte und gestaltete Prozesse von Inklusion und Exklusion, deren Grenzziehungen pädagogisch definiert sind und daher zwangsläufig von den sozialen Einschluss- und Ausgrenzungsmechanismen der materiellen Fürsorgepraxis abweichen.
Das Projekt besteht aus zwei Teiluntersuchungen:
1. Auf der Ebene der Medienprodukte wird die historische Semantik der ikonographischen und dramaturgischen Repräsentation von Armut und Armen in seinerzeit weit verbreiteten Lichtbilderserien untersucht.
Als Grundlage der Untersuchung wird in öffentlichen und privaten Sammlungen in Großbritannien und Deutschland ein repräsentativer Korpus von rund 1000 Glasbildern zum Thema erhoben und gesichert.
Die semantische Analyse von Einzelbildern untersucht Bildmotive und ihre ästhetische Präsentation, die Gestaltung von Handlungsräumen und die spezifische Ikonographie der Bilder, wobei vergleichend bekannte literarische Darstellungen sowie Motive aus der Illustrations- und Gebrauchsgrafik (z. B. von George Cruikshank) herangezogen werden.
Die dramaturgische Analyse beginnt bei den semantischen Veränderungen, welche Einzelbilder in ihrer jeweiligen Position innerhalb einer Bilderfolge und durch die Konfrontation mit Texten erfahren. Durch die vielfältigen Möglichkeiten der Montage von Bildern in der Abfolge und durch die Verwendung von Projektionseffekten wie Überblendung und Einblendung lässt sich die Semantik eines Bildes durch das nachfolgende Bild stark beeinflussen, sogar ins Gegenteil verkehren (ein Phänomen, das im Bereich der Filmmontage als Kuleschow-Effekt bekannt ist). Die abschließende Medienanalyse untersucht die Bildfolgen als zentrales Element der Dramaturgie von Aufführungsereignissen, die live von Akteuren präsentiert wurden: die Umsetzung der Glasbilder in projizierte Lichtbilder und die Verbindung mit den wirkungsvollen, auditiven Gestaltungselementen Rezitation, Gesang und Musik.
2. Auf der Ebene der Mediengeschichte werden Zwecke, Modalitäten und Wirkungen der Verbreitung entsprechender Lichtbildserien in der britischen und deutschen Armenfürsorge rekonstruiert.
Hier steht die Aufführungspraxis der Lichtbildserien durch wohltätige Organisationen, wie zum Beispiel der Salvation Army oder verschiedener Organisationen der Temperenz-Bewegung, im Vordergrund. Zahlreiche Veranstaltungsankündigungen in einschlägigen Publikationsorganen machen eine rege Aufführungspraxis deutlich, deren jeweilige Zielgruppe, Ablauf und Wirkung durch Aufführungsberichte nachvollziehbar werden und zur Analyse der bekannten Bildserien herangezogen werden können. Zudem werden in Publikationen und Geschäftspapieren unterschiedliche Intentionen des Medieneinsatzes aber auch Formen der Kooperation zwischen den untersuchten Organisationen deutlich. Diese werden mit der dramaturgischen Analyse und empirischen Aufführungsberichten verglichen.
In den Glasbildserien werden sowohl spezielle Problemfelder von Armut in Industriezentren, wie zum Beispiel der Missbrauch preiswerter Alkoholika durch Arbeitslose, als auch die dagegen gerichteten Aktivitäten der wohltätigen Organisationen thematisiert. Beides wurde bisher in sozialgeschichtlicher Perspektive, nicht aber in mediengeschichtlicher Perspektive untersucht.
Die Perspektiven der beiden Teiluntersuchungen werden auf der Ebene der empirischen Aufführungsereignisse zusammengeführt. Dort kommt die ikonographische und dramaturgische Gestaltung der Medienprodukte zum Tragen und wird mit den institutionellen Intentionen im Rahmen der Armenfürsorge verbunden.
Darstellung der Projektergebnisse
Die Darstellung der Projektergebnisse wird die medienwissenschaftliche Analyse von Medienprodukten (Einzelbildern und Bilderfolgen) mit der historiographischen Darstellung von Verbreitung, Aufführung und Rezeption im sozialen und politischen Kontext britischer und deutscher Armenfürsorge verknüpfen und den Beitrag der Armenfürsorge für die Entwicklung visueller Massenmedien um 1900 bilanzieren.
Team
Das Projektteam
Karen Eifler, M.A.
Prof. Dr. Martin Loiperdinger
Dr. Ludwig Vogl-Bienek
Weitere beteiligte WissenschaftlerInnen:
Brigitte Braun, M.A.
Torsten Gärtner, Dipl.-Päd.
Publikationen
Die Projektveröffentlichungen werden in der zentralen Online-Bibliographie im Rahmen der SFB-Publikationsplattform sfb600-online nachgewiesen.Veranstaltungen
16.12.2008
Lichtspiele im Schatten der Armut. Inszenierungen von Bedürftigkeit und ihr Verhältnis zu den Geschlechtern in britischen Lichtbilderaufführungen zwischen 1880 und 1914
Vortrag von Ludwig Vogl-Bienek im Öffentlichen Frauen- und Geschlechterforschungskolloquium an der Fachhochschule Frankfurt/Main im Wintersemester 2008/09. 28.5.2008
Street Arab and Fairy Queen, Matchgirls and White Slaves: Identitätszuweisungen in Viktorianischen Slums – entdeckt im Lichte magischer Laternen
Vortrag von Ludwig Vogl-Bienek im Rahmen des interdisziplinären Kolloquiums „Prekäre Identitäten“ am Cornelia Goethe Centrum für Frauenstudien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt.
Abstract
11.-13.4.2008
Casting light into poverty’s shadow: The magic lantern and the poor in Victorian Britain
Vortrag von Ludwig Vogl-Bienek im Rahmen der Conference of the Northeast Victorian Studies Association: “Victorian Underworlds” an der University of Toronto, Kanada.
22.11.2007
Lichtspiele im Schatten der Armut. „Soziale Fragen“ in viktorianischen LichtbilderzählungenVortrag von Ludwig Vogl-Bienek an der Universität Trier.
13.11.2007
Henny Porten und das soziale Drama der Armut
Vortrag von Prof. Dr. Martin Loiperdinger in der Reihe „Ästhetik des Stummfilms“ des Kunstgeschichtlichen Seminars der Johann Wolfgang Goethe-Universität am 13.11.2007 um 20.30 Uhr im Kino des Deutschen Filmmuseums, Frankfurt am Main.
Zu dem Vortrag wird der Film Alexandra (D-1914) mit Henny Porten gezeigt. Klavierbegleitung durch Ulrich Rügner.
7.9.2007
The Church on Wheels – Travelling Magic Lantern Mission in Late Victorian England
Vortrag von Torsten Gärtner im Rahmen der internationalen Konferenz „Travelling Cinema in Europe/ Wanderkino in Europa“ vom 8.-10.9.2007 in der Cinematheque/ Luxemburg.
Die Konferenz steht unter der Schirmherrschaft von „Luxembourg and Greater Region European Capital of Culture, 2007“ und wird veranstaltet von der Cinematheque Luxemburg und der Universität Trier.
Programm
8.6.2007
Projektionskunst und soziale Frage. Der Einsatz visueller Medien in der Armenfürsorge um 1900
Vortrag von Ludwig Vogl-Bienek am Deutschen Historischen Institut in Paris
10.5.2007
Helping through the Eye. The Magic Lantern and the social Question
Gemeinsamer Vortrag von Ludwig Vogl-Bienek und Torsten Gärtner im Rahmen der internationalen Konferenz „Imagination and Commitment. Representations of the Social Question” an der Universität Groningen/ Niederlande vom 10. bis 11.5.2007.
Programm und weitere Informationen
1.2.2007
Filme über Armut und Arme aus dem Zeitraum 1910 bis 1940
Teilprojekt C 6, 20.00 Uhr 18.1.2007
Filme über Armut und Arme aus dem Zeitraum 1910 bis 1940
Teilprojekt C 6, 18.00 Uhr c.t.
2.-4.11.2006
„New Paradigms of Perception. Changes in Media and Culture Around 1900“
International Conference at the University of Siegen/Germany. A Cooperation between the SFB600/C 6 University Trier/Germany and SFB/FK615 University Siegen/Germany.
Programm
16.11.2006
How the Other Half Lives – The role of the magic lantern image in the struggle for social change.
Vortrag von Dr. Mervyn Heard, Bath, im Rahmen seines Gastaufenthalts in Teilprojekt C 6, Do. 18:00 Uhr in Hörsaal 2
Information
18.11.2006
THE BETTER LAND – SEHNSUCHT NACH EINER ANDEREN WELT
Projektionstheater-Performance mit Laterna magica Lichtbildern aus dem 19. Jahrhundert
Inszeniert und dargeboten vom Projektionstheater Illuminago aus Deutschland und Professor Mervyn Heard, Magic Lantern Showman aus England.
Produziert und veranstaltet vom Sonderforschungsbereich 600 Fremdheit und Armut, Universität Trier (www.sfb600.uni-trier.de) und der Cinémathèque Municipale, Luxembourg.
Sa, 20:00 Uhr in der Cinémathèque Municipale, 17, place du Théatre, L-2613 Luxembourg, Eintrittspreis: 10,00€; erm. 5,00€, Kartenvorbestellung: 00352-4796 2644
Information
18.11.2006
THE BETTER LAND – SEHNSUCHT NACH EINER ANDEREN WELT
Projection-Performance with Magic Lantern Slides from the 19th Century
Performed and presented by the magic lantern theatre company Illuminago from Germany and Professor Mervyn Heard, an acclaimed magic lantern showman from England
Produced and organised by the Collaborative Research Center 600 Strangers and poor people, University of Trier and the Cinémathèque Municipale, Luxembourg
Sa. 8:00 pm at the Cinémathèque Municipale, 17, place du Théatre, L-2613 Luxembourg, Tickets: 10,00€; conc. 5,00€, Box-office: 00352-4796 2644
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